Das kurze Leben des Gerhard G.

Als Zehnjähriger entdeckte ich beim Stöbern im Wäscheschrank meiner Mutter einen mit Hakenkreuzzeichen verzierten Offiziersdolch, eingewickelt in eine Seidenstola. Verstohlen betrachtete ich die mir seltsam anmutende Schmuckwaffe und zeigte diese insgeheim voller Stolz einigen Freunden. In meinen kindlichen Vorstellungen malte ich mir den Träger dieser Waffe in den lebhaftesten Farben aus.
Die Fotografie dieses Mannes, meines Vaters, hing gerahmt neben dem Bett meiner Mutter und verschiedene Aufnahmen waren im Wohnzimmer meiner Großeltern nicht zu übersehen. Wer war dieser Mann mit umgeschnallter Pistole und Feldstecher, der forschend in die Welt blickte? Ich nenne ihn Gerhard G., bzw. den Lehrer Grießbach. Soll ich ihn, der in meinem Bewusstsein nie persönlich aufgetreten ist, Vater nennen? Ein im gleichen Schrank deponierter Karton enthielt einige hundert Briefe, nämlich den umfangreichen Briefwechsel meiner Eltern von 1936 bis zum August 1943. Mein frühes Interesse galt nur den Briefmarken, die, wie sich bald herausstellte, damals aber keinen großen Wert besaßen.
Erst im Jahre 2008 machte ich mich daran, diesen Schatz zu heben. Denn es ist wirklich ein Schatz; dokumentieren doch diese Briefe recht plastisch privates Leben, politisch Erlebtes, Zeiteindrücke, persönliche Einschätzungen und viel Alltägliches aus den Jahren zwischen 1934 und 1943, eine für die deutsche Geschichte äußerst problematische Zeit!
Gerhards Vater, mein Großvater, der Bürstenmachermeister Paul Grießbach 1.) war ein redlicher und zudem fleißiger Handwerker, der sich 1911 mit der elternlosen Margarethe Braune 2.) verheiratet hatte. Im Oktober 1913 wurde der Sohn Gerhard geboren und im Kriegsjahr 1915 kam die Tochter Hildegard dazu.
Paul leistete seinen Wehrdienst bei den renommierten Oschatzer Ulanen, einer farbenprächtig uniformierten, aber bald schon veralteten sächsischen Kavallerieeinheit. Im 1. Weltkrieg diente der Familienvater auf westlichen und südöstlichen Kriegsschauplätzen, war dabei viel unterwegs in Böhmen, Österreich, Rumänien, Bulgarien, wahrscheinlich auch in Russland und überstand die schweren Kriegsjahre ohne körperliche und seelische Blessuren. Er war wohl kein draufgängerischer Krieger, sondern eher darauf bedacht, heil aus dem Krieg heimzukehren.
Schließlich wurde er befördert, wurde Sergeant, ein Unteroffiziersdienstgrad. Seine Einheit kämpfte nicht mehr mit Lanze, Säbel und Karabiner, sondern gehörte zu den Rückwärtigen Diensten, einem Telegrafen-Bataillon.
Seine Ehefrau Margarethe durchlebte schwierige Kriegsjahre mit den zwei kleinen Kindern. Aber irgendwie schaffte sie es dann doch, sich und die beiden Kinder durchzubringen. Und sie erlebten die unruhigen Nachkriegsjahre mit ihren politischen und wirtschaftlichen Krisen.
Angespornt und tatkräftig unterstützt von seiner aus problematischen Verhältnissen stammenden Ehefrau erreichte der Handwerksmeister in den zwanziger und vor allem in den dreißiger Jahren einen bescheidenen Wohlstand. Er bewohnte mit seiner Familie eine moderne Wohnung in der Wurzener Str. 17, aber 1938 zog die Familie in die Rehefelder Str. 25 um, wo sich im Hof seine Werkstatt befand.
Der Motor der kleinen Familie war immer die Mutter. Mit Vehemenz und einer schier unerschöpflichen Energie betrieb sie den materiellen und ideellen Aufstieg der Familie. Bereits 1935 erwarb man einen Opel P4, der später durch einen Adler Trumpf Junior ersetzt wurde. Zudem bewirtschaftete die Familie einen Pachtgarten in Dresden-Pieschen.
Offensichtlich konnte der Sohn seinen Neigungen nachgehen, ohne dass er im väterlichen Betrieb eingespannt worden wäre. Militärisches Gepränge, Heldentum und Abenteuerlust begeisterten ihn.
Karl May wurde gelesen. Der Vater plauderte wohl gelegentlich über seine "Kriegstaten" und zeigte Fotos und Ansichtskarten seiner "kriegerischen Jahre". Mit dem Sohn hatte die Mutter Besonderes vor. Nach dem Besuch der 8. Volksschule auf der Moritzburger Str. drückte er eine der Bänke im Neustädter Oberreal Gymnasium. Die Mutter förderte außerdem sein musikalisches Talent, sie kaufte ein Klavier und bezahlte die Musikstunden.
Gerhard G. hatte wohl schon als Schüler das chauvinistische Gedankengut seiner deutsch-nationalen Lehrer aufgenommen und später verinnerlicht. Ein Schulwandertag im Frühsommer 1932 führte zu einem Manöver der Reichswehr, wo das kriegerische Gepränge offensichtlich einen großen Eindruck beim Schüler Grießbach hinterließ.
Vom 15. Juli bis zum 10. August 1933 unternahm er mit seinem Schulfreund Hans Zscheischler eine Radtour nach Süddeutschland. Der Höhepunkt dieser langen Fahrt war die Besteigung der Zugspitze. Bei dem Aufstieg zum Gipfel erinnerte er sich an das Aufsatzthema "Lebe gefährlich!", nach einem Ausspruch von Friedrich Nietzsche, und er fühlte sich erhaben über die spießigen Zugspitztouristen, die mit der Bergbahn ihr Ziel erreichen.
Seine Beobachtungen hielt er teilweise in einem Tagebuch fest und verfasste einen ausführlichen Bericht über die Besteigung der Zugspitze. Hier schäumen die Worte vor Begeisterung über!
Für die vierwöchige Tour standen nur geringe Barmittel zur Verfügung, über deren Verwendung genau Buch geführt wird. 1934, ein Jahr später, legte er das Abitur ab und wusste wohl erst nicht so recht, was er nun machen sollte. Ihm imponierte die reorganisierte Reichswehr, bald heißt sie Wehrmacht; wohl beeinflusst von seinen Lehrern, meldete er sich freiwillig in die von der "tausendjährigen" NS-Regierung bereits ideologisch und politisch vereinnahmte und geprägte Armee.
In einem Brief an seine Eltern bekannte er "Trotzdem genieße ich dieses anstrengende, aber sorglose Soldatenleben in vollen Zügen, da mir immer ein Ziel, dem ich zustrebe, vor Augen steht." Br.v.7.5.1935 Aber was wird nach dem freiwilligen Wehrdienst?
Und wieder war es die Mutter, die ihn drängte, Sportlehrer oder Berufsschullehrer zu werden; sie erhoffte sich wohl davon eine relativ sichere Existenz. Br.v.23.2.1935 Ein Studium zu finanzieren, wäre wahrscheinlich außerhalb ihrer Möglichkeiten gewesen. Der Sohn bewarb sich schließlich nach der Entlassung aus der Wehrmacht am Lehrerseminar in Dresden.
Während des Studiums lernte er seine große Liebe, die Studentin Regine kennen. In den Semesterferien nahm er regelmäßig an Wehrersatzübungen teil, so dass aus dem einstigen Gefreiten bald ein stolzer Feldwebel wurde.
Regine war das einzige Kind des verwitweten Kunstmalers Hans Schirmer 3.). Die Mutter Dorothea 4.) starb nach langer und schwerer Krankheit 1930. Der schwerhörige Vater versuchte sich von seiner Kunst zu ernähren; das einstige Vermögen war dahin, Aufträge gab es in den Krisenjahren nur wenige. Mit dem Kopieren alter Meister der Sempergalerie versuchte er sich über Wasser zu halten. Eine Schwester 5.) seiner verstorbenen Ehefrau organisierte den Haushalt, bis die Tochter die Arbeiten übernahm. Die Sorge um den oftmals hilflosen Vater und die große Wohnung wurde eine lebenslange Aufgabe für die Tochter.
Trotz geringer Geldmittel wurde Regine auf eine private Höhere Mädchenschule in Dresden-Blasewitz, die Friedelschule, geschickt. Sie legte das Einjährige ab und leistete von Mai bis November 1934 auf einem von der NSDAP verwalteten Gut in Meßbach bei Plauen einen Pflichtdienst. Hilfsarbeiten in der Landwirtschaft bildeten den Alltag der 16—19jährigen Mädchen.
Auf Empfehlung einer Verwandten bewarb sie sich am Dresdner Lehrerseminar für die Ausbildung als Technische Lehrkraft (Hauswirtschaft). 1937 trat Regine nach bestandenem Examen ihre erste Stelle als Aushilfslehrerin in Freital bei Dresden an. Dem forschen Feldwebel d.R. Grießbach widmete sie bald alle verfügbare Freizeit.
Gerhard legte nach vier Semestern und einem Schulpraktikum in der Sächsischen Schweiz erfolgreich seine Prüfungen ab. Nun musste er sich im Schulalltag bewähren. Im Herbst 1937 schickte ihn die sächsische Schulbehörde nach Zabeltitz, einem Dorf in der Großenhainer Pflege.

1.) Grießbach, Paul (1887-1957), Bürstenmachermeister in Dresden
2.) Grießbach, Margarethe, geb. Braune (1886 -1968), Ehefrau von Paul G.
3.) Schirmer, Johannes (1882-1965), akademischer Kunstmaler in Dresden
4.) Schirmer, Dorothea geb. Wildenhayn (*1888 in Saaz t1930 in Dresden), Ehefrau von 3.)
5.) Wildenhayn, Hilda (1886-1964), Buchhalterin, Vertreterin für Lehrmittel

Probelehrer in Zabeltitz

Anfang November 1937 begann für Gerhard G. ein Leben mit umfangreichen Pflichten in einem ungewohnten Milieu. In einem Brief an seine Dresdner Freundin Regine Schirmer schilderte er seine neuen Lebensverhältnisse voller Begeisterung: "...dieses schmucke Dörfchen mit seinem alten Schloß. Die Schule ist ganz vorbildlich in Ordnung, ebenso die Kameraden. Sie ist 7-klassig und hat mit mir 6 Lehrer, darunter eine Lehrerin. Ich bin Klassenlehrer von einem munteren 5. Schuljahr... Meine Wohnung (volle Pension für 55 M) ist am Waldrand... Der Anfang hier in Zabeltitz war recht verheißungsvoll: Bei schönstem Sonnenschein marschiere ich jeden Morgen durch die noch taufrischen Felder und Gärten in die Schule. Mit dem pünktlichen Anfangen u. Aufhören nimmt es hier niemand genau. Zum Vorbereiten bin ich leider aus Zeitmangel noch nicht gekommen." Br.v.2.11.37
Er war der jüngste Lehrer im Kollegium, dazu sportlich, mit militärisch straffem Auftreten und einem beachtlichen musikalischen Talent. Er kann passabel Klavier spielen, beherrscht die Klarinette, verschiedene Blockflöten und die Gitarre. Bald ist der Lehrer Grießbach, obwohl erst Probelehrer, der Lehrer. Er kümmerte sich um die sportinteressierten Zabeltitzer und deren Kinder im Turnverein, "... zum Turnen waren diesmal über 20 Mann da...", übt mit dem Blockflötenchor und erteilt noch privat Klavierund Flötenstunden.
Das Jungvolk hatte es ihm angetan, war er doch als Student Pimpfgeneral*27. "Es klappt ganz gut und die Jungen sind natürlich Feuer und Flamme." Schließlich erlaubte ihm der Kantor auch noch das gelegentliche Orgelspiel in der Zabeltitzer Kirche.
Bei seinen Wirtsleuten, dem Ehepaar Rentzsch 34.) — sie stammte aus Plauen und er war Leibkutscher beim "Gnädigen" fühlte er sich wohl. Der Hauswirt weihte ihn in die Grundzüge des Skatspielens ein. Aber an den Wochenenden zog es ihn doch nach Dresden zu seinen Eltern und zu Regine.
Mit der Bevölkerung kam er bald in nähere Berührung; so wurde der geschworene Antialkoholiker nach einer privaten Flötenstunde bei der Familie Kern mit süßem Johannisbeerwein traktiert das Jahr 1938 sollte nachträglich begrüßt werden. "...Als ich aber an die frische Luft kam... Du meine Güte! Das fängt ja gut an im neuen Jahr..." Br.v.10.1.38
Er sah schon zu diesem Zeitpunkt für sich eine Zukunft in Zabeltitz und voller Stolz konnte er berichten, dass "der Obermimer vom Turnverein" sich für ihn verwenden will: "Sie bleiben bei uns in Zabeltitz. Und wenn der Oberschulrat nicht will, machen wir die Sache über den Gau." Br.v.22.1.38
Seine Dresdner Freundin Regine war eine sogenannte "Technische", eine Lehrerin für Hauswirtschaft. Sie schwadronierten beide in ihren Briefen über eine herannahende Maulund Klauenseuche, die im Februar 1938 schon zum Ausfall des Jungvolkdienstes und der Parteiveranstaltungen geführt hatte, so dass eine Schulschließung zu erwarten war. Er frohlockte: "Dann bricht eine herrliche Zeit herauf: Ferien im Überfluß." Aber die Seuche verschonte dann zum Glück Zabeltitz.
Freundin Regine kam in dieser Zeit mehrmals nach Zabeltitz zu Besuch; die Grießbach-Eltern fuhren gelegentlich mit dem Auto dahin, wo sich der mit dem Landleben vertraute Vater Paul offensichtlich wohl fühlte und die Ruhe und Landluft in Rentzschens Garten genoss.
Nach den Osterferien bekam der Aushilfslehrer eine Doppelklasse, das 1. und 2. Schuljahr zusammen, insgesamt 44 Schüler. Das behagte dem Anfänger gar nicht, und er grollte dem Schulleiter Schwaar ob dieser unerklärlichen Maßnahme. Br.v.28.4.38 Aber schon bald fand er Gefallen an dieser ihm noch ungewohnten Aufgabe, "...ich muß genau wie ein ABC-Schütze von vorn anfangen; es macht mir ebensolchen Spaß wie meinen Kleinen." Und das Hochgefühl im "Wonnemonat" wurde noch durch einen "blauen Hunderter", den ihm Schulleiter Schwaar 6.) in die Hand drückte, verstärkt. Br.v.4.5.38 Die Gehälter wurden damals noch bar an den Schulen ausgezahlt. Sein Gehalt betrug nun 131,09 RM im Monat.
Er erlebte die Gefühlswelt und die Mentalität seiner Schüler und so berichtete er am 11.5.38 in einem Brief an seine Freundin über eine Begebenheit aus Zabeltitz: "Joachim Günther 33.) kommt aufgeregt zu mir ans Pult und sagt laut und mit todernstem Gesicht: Herr Grießbach, wie Sie an die Tafel schreiben taten, hat einer gemefft! Ich habe es ganz genau gehört! Es muß ganz in Ihrer Nähe gewesen sein. Die Klasse fand absolut nichts an dieser Äußerung und wunderte sich ob dieses komischen Lehrers, der sich vor Lachen kaum halten konnte."
Mit seinen Lehrerkollegen, sprich Kameraden, kam er wohl gut aus. Nur mit der "Cariusen" 9.) und ihrer "Revolverschnauze" hatte er seine Probleme und ist froh, wenn diese Lehrerin einige Tage abwesend ist.
Inzwischen wohnte er mit dem "Kameraden" Runschke, der wohl in Strauch unterrichtet, zusammen, da spart er 8,— RM Miete, dafür muss er diesem starken Raucher sekundieren; gemeinsames Flöten, Schachspielen und Spaziergänge an das Gabelwehr vertreiben aber die Langeweile und die Einsamkeit. "Kamerad" Runschke sucht schließlich nach weiblicher Begleitung oder Betreuung und will seinen Mitbewohner dafür einspannen.
Regine Schirmer besuchte ihren "Kollegen" Anfang Februar in Zabeltitz und verlebt nachhaltig anregendinnige Stunden bei ihrem Freund. Kurz darauf schrieb sie eine dankbare Nachricht nach Zabeltitz: "Haben Deine Kinder heute gut gefolgt? Ich glaube, sie kennen mich schon, denn sie grüßen alle sehr artig. Sieh bloß zu, daß Du Muschters 7.) Stelle kriegst, es hat mir so gut gefallen!!!... Hacke Dich nicht wieder in den Finger. Frau Rentzsch sagte nämlich, Du wärst zu stürmisch bei der Arbeit." Br.v.7.2.38
Die Wochenenden wollten die Liebenden weiterhin möglichst gemeinsam verbringen, entweder in Dresden oder in Zabeltitz. Der sonnige Juni 1938 lud zum Baden ein und der Aushilfslehrer erwog die örtlichen Bademöglichkeiten: "An den Badestellen der Dörfler, am Gabelwehr oder Görzig zu baden, ist bei dem Massenbetrieb, der dort bei Sonnenwetter herrscht, bestimmt kein Genuß." Br.v.23.6.38 Das Paar zieht es schließlich vor, sich an einem abgeschirmten Ort zu sonnen. Ein "schönes Andenken" an das innige Wochenende in Zabeltitz ist ein Holzbock, den sich Regine eingefangen hatte.
Gerhard beherrschte ein fatales Streben nach militärischen Meriten. So fuhr er im Juni 1938 bei hochsommerlichen Temperaturen in Uniform nach Großenhain, um sich beim Militärkommando in Erinnerung zu bringen. Ihm wurde bedeutet, dass er sich bis zur nächsten Reserveversammlung gedulden solle. "Geschwitzt habe ich mörderisch". Aber wohltuend ist für ihn, dass "die Großschnauze (Casi) nicht da ist." Und "fast jeden Tag ist [an der Schule] hitzefrei". Br.v.8.6.38
Drei Wochen später berichtete Gerhard von einem Unterrichtsgang nach Großenhain. Stolz erzählte er, dass er den Flugplatz besuchen durfte. "Wir haben uns mit den Oberklassen eingehend viele Flugzeuge erklären lassen und hatten Gelegenheit, selbst am Steuer eines 2-motorigen Fernaufklärers zu sitzen. Also ein höchst interessanter Nachmittag." Er bedauert die Gelegenheit, für 2,50 RM von Großenhain nach Zabeltitz und zurück fliegen zu können, verpasst zu haben. Br.v.28.6.38
Am 6. Juli 1938 fand ein Oberschulratstag in Zabeltitz statt, zu dem 10 Junglehrer ihr pädagogisches Können beweisen sollten. Nach der Hospitation wunderte er sich mit Stolz über das "Urteil", das der Herr Oberschulrat "mir mit 2 Sätzen nach meiner Stunde zuflüsterte... Da haben wir 'mal einen richtigen Grundschullehrer gesehen, von dem sich mancher alte Lehrer noch eine Scheibe abschneiden könnte." Br.v.6.7.38
Die Freundin wurde mittlerweile von FreitalDeuben nach Lauenstein im Erzgebirge versetzt. Sie fand mit Hilfe ihrer Tante Hilde ein angemessenes Quartier bei freundlichen Menschen. An den Wochenenden fuhr sie aber meistens nach Dresden. Gerhard hielt seine Freundin an, "tüchtig Radio" zu hören, "denn diese Woche muß sichs endgültig entscheiden. Du mußt es dort oben doch eigentlich zuerst merken, wenn der Schlamassel*1 losgeht... Jetzt muß es sich doch herrlich wandern lassen in Deiner Herbstfrische. Das wäre das richtige Wetter zum Einmarschieren in Böhmen." Br.v.20.9.38
Er will dabei sein, wenn das Sudetenland durch die deutschen Wehrmacht "befreit" wird. Und als er zu Hause seiner Mutter erzählte, "daß auch Reichsdeutsche"*30 wahrscheinlich in das "Freikorps" eintreten könnten, begehrte seine Mutter auf und berichtete von den "Greueltaten der Tschechen", um ihn von seinen kriegerischen Ambitionen abzuhalten. Gerhard folgte kritiklos der aggressiven Außenpolitik des Hitlerstaates. Schließlich marschierte die Wehrmacht ohne den Reservefeldwebel in das Sudetengebiet*28 ein. Regine berichtete aus Lauenstein, das ja nahe der tschechischen Grenze liegt, dass die Lauensteiner in großer Angst gelebt hätten, denn "der Sattelberg bei Liebenau soll unterminiert worden sein, und im Ernstfalle hätte alles bis Heidenau geräumt werden müssen. Die Lauensteiner Volksschule ist als Lazarett eingerichtet worden... Aus Geising sind auch 2 Lehrer drüben (im Sudetenland). Einer schrieb, er könne vor Blasen kaum noch laufen." Br.v.10.10.38
Neben den Vorbereitungen für den Unterricht und anderen Verpflichtungen hatte der Lehrer G. noch Zeit, um kleinere Beiträge für die lokale Presse zu schreiben. Im November 38 berichtete er in einem Zeitungsbeitrag über den Unfall einer Zabeltitzerin, die mit dem Fahrrad in die eigene Sense stürzte und sich dabei schwere Verletzungen zuzog. Für solche Geschichten kann er bis zu 20 Mark monatlich "einnehmen" und damit sein Lehrergehalt aufbessern. Br.v.24.11.38
Die Freundin Regine wurde nunmehr von Lauenstein nach Kamenz versetzt. Sie wohnte in Kamenz, kam aber an den Wochenenden nach Dresden, um ihren Vater zu versorgen, die Wohnung zu säubern, Wäsche zu waschen und dann noch Stollen zu backen. Es war eine für beide vorwiegend unbeschwerte Zeit. Von den "nationalsozialistischen" Stürmen der Zeit ist Regine diesmal noch unberührt. Br.v.11.12.1938
"Das erste, das mich hier erwartete im neuen Jahr [1939], das waren meine arischen Großmütter; das heißt, nicht persönlich, sondern in Form von einem Stoß allerlei Urkunden..." Für nur 16 Mark bekommt er seine arische Großmutter und "arische Vorfahren bis 1800" *23 amtlich bescheinigt.
Im Geburtstagsbrief an seine Geliebte schilderte er eine Dorfposse, die ihm unerwartet eine neue Geldquelle eröffnete: "Ich verdiene mir durch Klav.-Std. etliche Mark im Monat. Die bisherige Klav.-Lehrerin (die Frau vom Pol. Wachtmeister Bockel) ist nämlich ihrem Mann davongelaufen oder er hat sie rausgeschmissen. Jedenfalls ist sie nicht mehr da." Br.v.15.1.39
Bei seiner kritiklosen Befürwortung der NS Politik war es kaum verwunderlich, dass der Probelehrer Grießbach im Februar 1939 Mitglied der NSDAP*29 wurde. In der Ortsgruppe Zabeltitz wird er vereidigt. Er identifizierte sich mit "der Führerrede, auf die die ganze Welt gespannt hörte" und die er im Gemeinschaftsempfang in Treugeböhla mit Begeisterung anhörte. Nebenbei bemerkte er, dass seinem KameradenKollegen Schreiner 8.) "die Rede so in die Kehle gefahren [ist], daß er gleich krank wurde, denn heute fehlte er und wir hatten ihn zu vertreten." Das Lehrerkollegium machte wohl nicht viel Aufhebens mit dem frischgebackenen Parteigenossen, war doch ein großer Teil der Lehrerschaft Mitglied der NSDAP. Der Turnverein dagegen gratulierte "feierlichst" mit einem "wertvollen" gerahmten Führerbild.
Die beiden Liebenden kennen sich jetzt schon fast zwei Jahre und es wird Zeit, über eine gemeinsame Zukunft nachzudenken. Schon eine Zeit lang betrachtete er Regine als seine Braut, unternahm aber wenig, um dieser Angelegenheit den entsprechenden Rahmen zu geben. Die Absprachen mit beiden Familien überließ er der "Braut". Sie schlägt Palmarum 1939 für die Verlo
bung vor. Aber so einfach war das im nationalsozialistischen Reich nicht. Der Bräutigam, er ist nun Leutnant der Reserve, benötigte auch die Genehmigung der zuständigen Behörden zur Verlobung. Dieses Papier erhielt die Braut schließlich von ihrem derzeitigen Schulleiter überreicht, nachdem dieser noch eine Stellungnahme über seine Lehrkraft abgeben musste. Seit dem 2.4.1939 waren Regine Schirmer und Gerhard Grießbach Verlobte.
Ende März 1939 war Gerhard G. neben seinen schulischen Vorbereitungen mit der Ausarbeitung von Lehrplänen für seine verschiedenen Klassen eingespannt, musste aber noch Zeit finden für die Vorbereitung eines bunten Abends, bei dem auch geturnt wurde. Trotz dieser zusätzlichen Belastungen konnte er auch freudig berichten, dass er jetzt bei Anrechnung seiner Militärzeit ab 1.4.1939 170 Mark Gehalt bezieht und die nächste Steigerung am 1.2.1940 erfolgen soll.
Als Probelehrerin wurde Regine immer dann versetzt, wenn sie sich gerade irgendwie eingelebt hatte. Mitte April 1939 war Zehren/Kagen in der Lommatzscher Pflege ihr neuer Dienstort. 28 Stunden muss sie halten, und die Bezahlung ist "mieser" (Ortsklasse D). An den Wochenenden fuhr sie nach Dresden und mitunter nach Zabeltitz. Ein bis zwei Briefe schrieb sie in der Woche an den Bräutigam.
Am 26. Juni schrieb Gerhard, der am 1.5.1939 zum Leutnant der Reserve befördert wurde, einen eigentümlichen Brief nach Dresden: "Diese Woche merke ich, wie es ist, wenn man hier in Zabeltitz niemanden hat, mit dem man sich richtig in der Schule aussprechen kann... Heute bei dieser drückenden Schwüle... habe ich mal alles aufgestellt, was ich mir für den Kriegsfall kaufen möchte... Ich habe jetzt den Waffenschein bekommen u. muß die Pistole holen..." Br.v.22.6.1939
Der Krieg steht vor der Tür. Regine berichtete, "dass der Großenhainer Flugplatz, d.h. die Besatzungen in Richtung Polen verschwunden wäre", aber auch: "In Zehren ist niemand von den Kollegen eingezogen [worden], nur in Kagen. Ach, wenn doch alles gut verliefe!" Br.v.15.8.1939
Die Sommerferien waren zu Ende und vorerst kehrt der Schulalltag mit seinen Pflichten zurück. Der Aushilfslehrer findet ein renoviertes Quartier vor: "Sauber sogar der Fußboden. Ein neuer Ofen... nur Gardinen fehlen noch. Das halsbrecherische Sofa hat eine geschmackvolle Sofadecke erhalten, die ein tadelloses Sofa vortäuscht."
Br.v.18.8.1939
Veränderungen im Dorf angesichts des bevorstehende Krieges hielten sich in Grenzen, das geplante "Turnfest wird in vollem Umfang durchgeführt. Hier sind gar nicht so viele Leute eingezogen. Die meisten haben erst für später Order." Br.v.18.8.1939
Er gab Zeitungsmeldungen wieder, z. B.: "Was den Krieg betrifft, so fand ich vor einigen Stunden eine Bestätigung der Gerüchte im ,Freiheitskampf'. Eine bescheidene Notiz verkündete: Deutsche Abordnung in Moskau. Wenn es mit der Verständigung RußlandDeutschland schon so weit ist, ...dann können wir doch sehr zufrieden sein. Für England sieht es dann allerdings sehr mau aus."
Der Reserveleutnant politisiert ohne eigenen Standpunkt, ohne Abwägungen übernimmt er die politischen und militärischen Ziele der Hitlerregierung.
Die Vorbereitungen für den Überfall auf Polen laufen auf vollen Touren, Regine berichtete aus Klein-Kagen, ihrem derzeitigen Dienstort, dass "Gestern abend wie heute morgen... die gesamte Strecke von DresdenRadebeul-Zehren von Polizei bewacht [war]. Ab und zu kam Militär durchgefahren, bis an die Zähne bewaffnet. Mein Schulleiter meinte, daß vielleicht irgendein Führer oder gar Hitler selbst auf dieser Strecke unterwegs waren... Die Polacken werden immer frecher, hoffentlich nimmt es auch so ein Ende wie mit dem Sudetenland." Br.v.21.8.1939
Es waren die letzten Friedensferien im Sommer 1939 die das Paar mit dem Vater Schirmer 3.) in der bayerisch-österreichischen Alpenwelt bei Wanderungen und Klettertouren verlebte. "Vierzehn herrliche Tage!"
In Innsbruck trafen sie sich dann mit Mutter und Vater Grießbach nebst Schwester Hilde, die mit dem Auto unterwegs waren. Regine fuhr dann mit ihrem Vater per Eisenbahn nach Dresden, und "der Probelehrer (der den Krieg nahen sah) kutschierte mit dem Adler durch das Inntal über Wasserburg-RegensburgEger-Oberwiesental nach Dresden."
In den gegenseitigen Nachrichten spielte der bevorstehende Krieg, der sich bald zum größten aller bisherigen Kriege entwickeln sollte, erstaunlicherweise nur eine mindere Nebenrolle, vorerst jedenfalls.
Die Braut rechnete schon mit einer Einberufung ihres Verlobten, denn sie ist vorerst "arbeitslos", da "sämtliche ländliche Berufsschulen... bis auf weiteres geschlossen" [sind]. Sie bat ihren Freund, doch ein Federvieh für seine Mutter aufzutreiben. Und dann: "Kannst Du kommen, falls Du noch nicht in Polen bist." Br.v.21.8.1939 Dass der Bräutigam in den Krieg ziehen wollte, war für Regine offenbar zu diesem Zeitpunkt noch kein Problem.

6.) Schwaar, Gerhard (1906-1978), Schulleiter in Zabeltitz, Berufsschullehrer, stellv. Bürgerm.
7.) Muschter, Kurt, bis 1937 Volksschullehrer in Zabeltitz
8.) Schreiner, Walter (1895-1977), Volksschullehrer in Zabeltitz
9.) Carius, Erika (*? t1970), 1945 interniert im Lager Mühlberg Volksschullehrerin in Zabeltitz
33.) Günther, Joachim, Lebensdaten unbekannt
34.) Rentzsch, Inge, verh. Sotae, (*1929), Adoptivtochter des kinderlosen Ehepaars Rentzsch, verlässt 1948 Ostdeutschland, geht
1950 mit einem GI in die USA, lebt in Florida; Rentzsch, Hildegard, verh. Werft, (1924-1998), wird um 1933 vom Ehepaar Rentzsch adoptiert, versorgt ihre kranken Pflegeeltern, heiratet 1950, zwei Kinder, Irmhild und Eckhard, wird 1962 wegen Verleumdung der DDR verurteilt; 1,5 Jahre im Frauen-Zuchthaus Hoheneck


Kampf ist eben doch für den Mann die Erfüllung seines Daseins

Fast vier Wochen musste Gerhard G. warten, bis er seine Einberufung erhielt. "Der Krieg hat begonnen! Nach langem Warten kam endlich die Einberufung für den 27. Sept. 39 nach der Kriegsschule zu einem Offz.-Lehrgang. Freudig verläßt der Probelehrer sein stilles Dörfchen, um zu den Waffen zu eilen." [Bildunterschriften in seinem Fotoalbum]
"Am 19.10.39 wurde der Leutnant d.R. Grießbach zum Inf. Ers. Batl. 31 versetzt. Von Plauen tritt er seine erste Frontfahrt an." In der Eifel, nahe der französischen Grenze, wird sein Regiment stationiert. Enttäuscht vom unkriegerischen Tun bemerkt er in einer ersten Nachricht an seine Braut. "Du glaubst gar nicht, wie einem das Leben in der Heimat auf einmal 1000mal mehr interessiert als im Frieden. Das heißt, vom Krieg haben wir hier wenig [mit]bekommen." Br.v.28.10.1939 Wenige Tage später schildert er, was er "vom Krieg erlebte, war ein Manöverball..." und zur Beruhigung seiner Mutter: "Wir liegen hier noch lange in Ruhe, weit hinter der Front. Sogar die Frontzulage... fällt aus." Er war 26 Jahre alt und wollte doch ein Held werden. "Ehe ich aber zurückkehre, möchte ich unbedingt erst einmal im Schlamassel*1 gelegen haben. Kampf ist doch eben für den Mann die Erfüllung seines Daseins. So sehr ich im Hinblick auf die Bevölkerung und auf die Blutopfer ein schnelles Kriegsende als wünschenswert sehe, so sehr wäre ich doch enttäuscht, ohne Feuertaufe nach Hause fahren zu müssen." Br.v.2.11.1939
Er erlebte den "Sitzkrieg"11.) nun als "Etappensoldat" in der frühwinterlichen Eifel. Sein zukünftiger Schwiegervater schrieb ihm am 29.10.1939 einen Geburtstagsbrief u.a. mit dem Wunsch "Gebe Gott, daß das Dein einziger Kriegsgeburtstag ist u. der nächste nach siegreichem Ende dieses verrückten Krieges wieder hier gefeiert wird."
Wenige Tage später schrieb Gerhard aus Berresheim bei Mayen: "Ich mußte also die Kompanie führen. Und was für eine Komp.? 45 Mann, darunter der Chef kamen sofort ins Lazarett nach Maria Laach... So ungefähr stelle ich mir eine Komp. nach einem Jahr Krieg vor!... Sie haben in Polen, als die Verpflegung nicht mehr nachkam... ohne vorherige Untersuchung eine [trichinöse] Sau geschlachtet und mit Heißhunger das Vieh gegessen (Rede bitte mit keinem darüber.)" Im gleichen Brief resümierte er, dass die "Verpflegung... wieder einmal überreichlich ist, allerdings Konserven..." und "Hier in den Eifelorten treffen wir viele Flüchtlinge aus den geräumten Gebieten. Für die ist naturgemäß der Krieg mit diesen Auswirkungen sehr niederdrückend. Überall werde ich von der Quartierleuten gefragt, ob s denn bald alle wäre..." Br.v.6.11.1939
Der Kontakt mit seinem Schulort wurde aufrecht erhalten. So schickte der Zabeltitzer Turnverein Ende Oktober via Dresden ein Geburtstagspaket an den ehemaligen Turnwart.
Schüler Rolf Schulze 35.) schildert in einem anschaulichen Brief den Alltag in Zabeltitz, davon einige Auszüge: "Vor 14 Tagen war Hänschen mit der Bulldogge umgekippt. Er hatte Ziegel drauf und wollte bei Winklers auf die Baustelle fahren... Haben Sie schon mal Franzosen gesehen?... Auf dem Saal schlafen jetzt 30 gefangene Polen davon sind 23 Juden darunter. Wo wir wieder zur Schule gingen konnten wir kaum noch Rechnen... Manchmal gab es in den Pausen einen Mörderischen Krach. Auf einmal ging die Tür auf und Herr Schwahr kam mit einem einen Meter langen Stock, da gab es richtige Platze. Herr Schwahr fährt jetzt jeden Abend hausen rum und schickt jedes Kind zu Hause das es nicht überfahren wird weil ein Radfahrer gegen ein Auto gebrasselt ist..." Br.v.16.11.1940 Am 29.11.1939 schrieben die Gebrüder Enge, Eberhardt und Rudolf 29.), an ihren Lehrer einen ersten kurzen Brief u.a. mit dem Wunsch: "Ich möchte gern wissen, bei was Sie sind. Sind sie bei den Kanonen?" Und dann erfahren wir noch: "Wir haben jetzt sehr wenig Schule. Rechnen haben wir bei Fräulein Karius, die anderen Stunden bei Herrn Peters 19.)."
Regine, die wöchentlich bis zu zwei Briefe abschickte, berichtet ausführlich über ihr Berufsund Privatleben. "Am Sonnabend hatten wir wieder mal Arbeitsgemeinschaft und zwar in Dresden. Es fand... in der Drewag*31 ein Kochkurs statt. Es wurde ganz kriegsmäßig gekocht: Fischgulasch und Salzkartoffeln..." Fast alle Verbrauchsgüter sind bereits rationiert, zum Einkaufen benötigte man Lebensmittelkarten.
Ziemlich drastisch und unsensibel schilderte der Leutnant in seinen Briefen die Lebensverhältnisse der Eifelbevölkerung, die inmitten des militärischen Aufmarschs leben mussten. In verschiedenen Standorten wie Auderath, Ulmen, Eisenschmitt, Obersgegen bezog er als Zugführer mit seiner Infanterie-Geschütz-Kompanie Quartier. Ihm ging es aber gut in dieser Zeit; die Ausbildung wurde hauptsächlich von den Unterführern seiner Kompanie durchgeführt und dem schneidigen Leutnant blieb genügend Zeit zu Ausritten in die nähere Umgebung. "...habe mir jetzt ein neues Reitpferd zugelegt. Die Mausi war ein Tschechengaul, den die Kompanie sich in Prag organisiert hat. Mein jetziges Pferd, Omar, hat die Komp. in Polen einem gefangenen polnischen Hauptmann abgenommen. Es fehlt also nur noch, daß ich als nächstes ein engl. Beutepferd erwische." Br.v.16.11.1939
Walter Hempel 37.), auch er war kurze Zeit Lehrer in Zabeltitz, schreibt seinem ehemaligen Kollegen Gerhard G. seine Eindrücke vom Einsatz an der Westfront. "Unsere 13. Kompanie ist ziemlich primitiv mit tschechischen Waffen (wir übrigens auch) ausgerüstet... Ehe wir hierher kamen, nahmen wir oftmals an, wir kämen nach Spanien, weil nichts motorisiert, sondern alles mit Pferden bespannt war. Die Annahme wurde dadurch bestärkt, daß General Volkmann unser Div.-Kommandeur ist."10.) Schließlich teilte er Nachrichten aus Zabeltitz mit. "In Z. hat sich im M. wenig er eignet. Dem Kam. Schwaar habe ich aber brieflich tüchtig Bescheid gestoßen von wegen seiner Nachgiebigkeit. Er klagte über Übernervosität. Ich will es ihm... glauben. Den Betrieb möchte ich sehen." Br.v. 6.11.1939
Regine und Gerhard G. kennen sich nun schon 2 Jahre, es ist eine innige Liebesbeziehung. So denken beide wiederholt über eine (Kriegs-)Trauung nach. Er überließ jedoch alle notwendigen Vorbereitungen seiner Braut, sogar ein entscheidendes Gespräch mit der heiklen Mutter. Als zeitweiliger Kompaniechef und Zugführer sei er ziemlich beschäftigt. Statt dessen meinte er, dass Regine doch bald ihren Beruf aufgeben müsse und das doch mindestens ein halbes Jahr vor der Hochzeit. Die Braut sah dagegen ihre Wirklichkeit ganz ungeschminkt. "Mit dem Aufgeben des Berufes wird es... noch nichts. 1. brauche ich das Geld sehr notwendig, da mein Vater nichts verdient, 2. hätte ich bereits im September kündigen müssen..." Und dann fügte sie noch eine Beobachtung hinzu: "Gestern sah ich zum 1. Mal einen poln. gefangenen Soldaten. Der Polack wurde von einem deutschen Soldaten bewacht... Vertrauenerweckend sah der Kerl nicht aus." Br.v.22.11.1939
In einem ausführlichen Brief an seine Braut schilderte der Leutnant eine folgenreiche Moselfahrt. "...ich fuhr mit Lt. Richter und einigen Ufz. weiter in ein Moseldorf hinter Kochem. Er hieß Ernst, machte aber seinem Namen keine Ehre, denn es ging sehr heiter zu. Und nun nahm so langsam das Verhängnis seinen Lauf... begannen wir eine Flasche nach der anderen zu leeren mit dem Ziel: Lt. Grießbach muß heute mit Schlagseite nach Auderath zurück... Jedenfalls hatten wir einige 1937er Flaschen geleert. Inzwischen wurde etwas trüber neuer Wein probiert. Bis dahin geht meine Erinnerung... sind wir anschließend, nachdem ich auf den LKW gelegt worden war, nach Auderath zurückgefahren..." Das Besäufnis fand erst in den Morgenstunden seinen Abschluss, aber davon bekam der eher an einen mäßigen Lebensstil gewöhnte Offizier nichts mehr mit. Zerknirscht resümierte er zwei Tage später: "So eine sinnlose Sauferei ist eben doch wahnsinnig. Hier aber bei dem Stumpfsinn ist das zumindestens bei den Uffz. an der Tagesordnung. "... lehrreich... Schluß damit." Br.v.23.11.1939
Anfang Dezember 1939 schrieben mehrere Jungen und Mädchen, wohl auf Anweisung der Lehrer Weihnachtsgrüße an den Leutnant G., ihren Lehrer. Rudolf Börner 30.) aus Treugeböhla äußerte den Wunsch "Aber Herr Grießbach wenn Sie wieder aus dem Krieg kommen können Sie viel erzählen..." Br.v.1.12.1939 Walli Jahn 31.) gab einen kurzen Bericht über typisches Winterwetter. "...Bei uns liegt jetzt Schnee da können wir wieder Schneeballschlacht machen und die Teiche sind auch zugefroren sodas die Jungens Schlittschuh laufen können und wir Mädels gehen Schlitten fahren, oder schindern... Am ersten Adventssonntag haben wir den Adventskranz gebunden..." Br.v.14.12.1939
Schließlich schickte der Schüler Helmut Klotzsche
32.) seine Grüße in den Eifelstandort. "Das Weihnachtsfest rückt immer näher und der Krieg nimmt noch kein Ende. Wir hatten bestimmt gehofft das Sie das Weihnachtsfest in der Heimat verleben können... wünsche ich Ihnen und ihren Kammeraden ein fröhliches Weihnachtsfest und Neujahrsfest..." Br.v.14.12.1939
Kann er zum Weihnachtsfest Urlaub bekommen? Diese Frage beschäftigte die Liebenden in mehreren Briefen. Am 3.12.1939 schickte Gerhard G. einen Brief an seinen künftigen Schwiegervater. Er schildert darin das Etappenleben und äußert seine politischen Ansichten. "Ich sehe die außenpolitische Lage wie immer rosig. Noch ein Jahr für England derartige Tonnageverluste und es muß die Verständigung suchen. Anderenfalls folgt nach wochenlangen Luftbombardements eine Landung von Truppen in England, wozu ich mich, wenn es möglich wäre, sofort melden würde. Daß es hier, im Westen gegenüber der Maginotlinie*22 nicht losgeht, ist mir klar wie sonst etwas. Wenn schon, dann besetzen wir höchstens Belgien oder Holland oder marschieren durch. Große Hoffnungen setze ich auf unsere Propaganda in Frankreich. Vielleicht gelingt es uns, Frankreich vom Tommy wegzubekommen... Der Sieg ist unser, wenn die Heimat genauso durchhält wie das Feldheer... Man sieht ganz deutlich die Früchte der weitblickenden Politik des Führers." Br.v.3.12.1939
Er bekam schließlich, auch wenn er kein "Polenkämpfer" war, Weihnachtsurlaub, den er in Dresden bei seinen Eltern und mit seiner Verlobten verbrachte.
Mit Katerstimmung trat er seinen Dienst in den letzten Tagen des Jahres 1939 an. "Den ganzen Tag hatte ich einen schrecklichen Katzenjammer... Zum neuen Jahr wünsche ich Dir... alles Gute und vor vor allem bald Friede, damit die Heiraterei losgehen kann...". Br.v.30.12.1939
Am selben Tag fuhr er mit dem Krad zu dem ehrwürdigen romanischen Kloster Maria Laach.
Der Aushilfslehrer war wieder einmal Komp.Führer und "feierte während dieser Zeit mit dem ganzen Dorf ein lustig Neujahr."
Regine fuhr mit ihrer zukünftigen Schwägerin im Autobus am 28.12.1939 in das Erzgebirge. Die Fahrt ab Dresdner Hauptbahnhof wurde eine abenteuerliche Pannenfahrt. Übernachtet wurde in Rehefeld in einem Sportheim auf "Matratzenlager mit miefigen Decken". Die noch reichlich vorhandenen Lebensmittelkarten ermöglichten eine ausreichende Versorgung im Raupennest und anderen Gasthöfen des Osterzgebirges. Br.v.1.1.1940

10.) Volkmann, Helmut (1889-1940), General, 1937 Legion Condor, 1939 Westfront
11.) La dröle de guerre, "Sitzkrieg", trotz Kriegserklärung erfolgten keine militär. Aktionen, Frankreich/England beschränkten sich auf gegenseitige Aufklärung (1939/1940)
19.) Peters, Fritz (1885-1951), Kantor und Lehrer in Zabeltitz
29.) Gebrüder Enge, Eberhardt (1933-1993), Rudolf (1931-2010) aus Treugeböhla b. Zabeltitz
30.) Börner, Rudolf, (*1930 in Zabeltitz)
31.) Jahn, Wally, 1937 Schülerin in Zabeltitz, Lebensdaten unbekannt
32.) Klotzsche, Helmut, (*1927 in Zabeltitz), nach Flucht in den Westen erfolgreicher Unternehmer
35.) Schulze, Rolf (*1930), Tischlermeister in Zabeltitz
37.) Hempel, Walter, Lehrer in Gröditz, kurzzeitig etwa 1939, Lehrer in Zabeltitz; Lebensdaten unbekannt

1940 der "Sitzkrieg"

Es war Krieg, aber es wurde nicht gekämpft; in den "Schlamassel"*1 zu kommen, war dem tatendurstigen Leutnant noch nicht vergönnt. Die Kompanie wurde wieder einmal verlegt, Eisenschmitt hieß das neue Quartier. "Bedauert habe ich die 3 Urlauber meines Zuges. Diese wurden für den Marsch nach 2 Urlaubstagen zurückgerufen. Als sie heute kamen, waren sie natürlich arg enttäuscht, vielleicht auch erlöst, daß der Krieg noch nicht begonnen hatte."
Eisenschmitt lag näher an der französischen Grenze, Leutnant Grießbach war mit einem Zug Infanteriegeschütze 10 km von der Kompanie entfernt stationiert. Er war sein "eigener Herr" und versah den Dienst "so wie es mir paßt...Vormittags reite ich meistens aus... Meistens putzen meine 30 Leute die Pferde und reinigen die Geschütze und die Protzen... nachmittags... da wird allerdings 2 Stunden stramm exerziert... Abends sitze ich meist beim Schach oder der Zeitung... Aller paar Tage ist ein... Offiziersabend in einer überfüllten Kneipe. Gesoffen wird dabei gottlob nicht über die Maßen."
In dieser wohl eher beschaulichen Etappenzeit träumte er von einer friedlichen Eifelexkursion. "Vielleicht können wir uns nach dem Kriege im Volkswagen*26 mal die reizvolle Gegend hier im Sommer ansehen." Br.v.21.1.1940
Er wurde gut versorgt, fast verwöhnt, von seiner Mutter und seiner Verlobten. Die zunehmenden Versorgungsengpässe bei alltäglichen Waren alles ist rationiert wurden in dieser Zeit als normal empfunden. Regines Freundin Liesl, in Oberschlesien verheiratet, schickte ein richtiges "Freßpaket" mit Butter, Wurst, Schweinefleisch, Kuchen, Makronen usw. und das war doch sehr willkommen in dieser Zeit. Sie glaubte wie viele andere Deutsche an den Führer; sie schloss einen Brief an ihren Verlobten mit den Worten "Doch ich muß zum Ende kommen, denn gleich spricht der Führer und dabei kann ich nicht schreiben. Ob Du die Rede auch hören wirst?" B.v.30.1.1940
"Wir sind inzwischen dort gelandet, wo wir immer hinwollten: ...wir sind in einem Grenzdorf an der luxemburgischen Grenze (Obersgegen, 20 km westlich von Bitburg)... Vom Feind ist hier ebenfalls nichts zu sehen u. zu merken... Ihr macht Euch ja keinen Begriff davon, was die Bevölkerung hier auszustehen hat... u. [sie] haben nun das ganze Haus voll Soldaten liegen. Das geht bei denen schon 2 Jahre, daß sie immer Einquartierung haben. Es waren erst Westwallarbeiter*25, allmählich kommen die Soldaten..." So schilderte der Leutnant G. die Umstände, mit denen die Eifelbewohner zurechtkommen mussten: Deutsche Besatzer im eigenen Land! Br.v.30.1.1940 Er hatte es mit seinen Leuten noch gut getroffen, sie brauchten nicht in den engen und kalten Bunkern Quartier ziehen, sondern wohnten in Baracken, wo sie allerdings auch froren.
Seine kürzlich geäußerte Absicht, dass es "mit der Heiraterei bald losgehen" könne, also eine Trauung vielleicht zu Ostern, wollte er nun doch zurücknehmen. "...mit einem meckernden [Schwieger-]Vater" will er nicht zusammenleben, auch glaubte er an einen baldigen Waffengang mit den Feinden, und eine Ferntrauung komme für ihn nicht in Frage. Über eine Alternative dachte er nicht nach, sondern er möchte mal "14 Flittertage zu Hause verleben" und seinem "Fellchen ans Herz schlüpfen." Br.v.6.1.1940
Immer wieder wurden Erinnerungen an unbeschwerte gemeinsame Stunden ausgetauscht. So schrieb Regine am 8.2.1940 u.a. "Hast Du nicht manchmal Sehnsucht nach deinen Kindern? Mir drückt's manchmal das Herz ab, wenn ich an die schönen Zabeltitzer Tage denke. Wenn ich auf dem Bahnhof bin, denke ich stets, ob noch der Frühzug nach Z. fährt und er fährt noch..." Br.v.8.2.1940
Von drei Zabeltitzer Schülern bekam er Post. Siegfried Schlenkrich 36.) wünscht, "Es wird nun große Freude geben, wenn Sie und unsere gesammte herrliche Wehrmacht mit einem großen Sieg... zurückkehren können. Damit wird die große Aufgabe, die unseren geliebten Führer bevorstand, ein Ende genommen haben..." Gotthard Häslich schildert die Situation im Dorfe: "Wir haben jetzt vorläufig keine Schule mehr... Wir müssen jetzt tüchtig Kohlen sparen." Schließlich schreibt Rolf Schulze in einem Brief auch seine Neuigkeiten: "Unser Pappa hat uns ein Paar Schneeschuhe gemacht... Da fahren ich, Horst, und vorläufig auch
unser Pappa... Ich fange jetzt auch Klavierspielen an... bei Herrn Onkel Wolschendorf." Br.v.28.1., 13.2. und 23.2.1940
An seinen "meckrigen" Schwiegervater i.sp schrieb er vor seiner überraschenden Kommandierung noch einen ausführlichen Bericht über Land und Leute der Eifel. Die militärische Sperre gegen Frankreich schildert er als unüberwindlich: "Diese Betonklötze sind derart geschickt verteilt, daß kilometerweise... jeder Zoll Erde von irgendeinem MG oder Pak... bestrichen werden kann... Es wäre glatter Wahnsinn, den Westwall anzugreifen." Aber er meint auch, dass "allerdings am Westwall... kaum der Angriff steigen wird..." Im Kampf gegen England möchte er aber unbedingt zum Einsatz kommen. Br.v.13.2.1940
Bei diesem Etappenleben konnte der Leutnant G. keine Heldentaten vollbringen, dekoriert und vielleicht sogar befördert in die Heimat zurückkehren, um am heimischen Herd und vor seinen Schülern über seine Kriegsabenteuer zu parlieren.

36.) Schlenkrich, Siegfried (*1930 in Zabeltitz), wohnt in Treugeböhla

Rekrutenoffizier in Chemnitz

Praktisch "über Nacht" wurde Leutnant G. zur IG Ersatz-Kompanie 24 nach Chemnitz versetzt. Er wohnte in einer geräumigen Offizierswohnung gemeinsam mit einem Hamburger Leutnant.
Am 29.2.1940 beantragte er seine Versetzung zum fliegenden Personal der L.W." [Luftwaffe], dabei äußert er, dass er sich "schon Weihnachten 1939" zur Luftwaffe gemeldet habe.
Rekruten brauchte der heldenselige Leutnant erst einmal keine auszubilden, sondern er musste eine Tombola organisieren, für die er 3000 Gewinne landesweit beschaffen sollte. Er kam mit Chemnitzer Schulkindern in Berührung, die er für seine Tombola einsetzte. Es war wohl eine nationalsozialistische (Kriegs-)Werbeveranstaltung zum Heldengedenktag am 10. März 1940. Br.v.8.3.1940
Regine besuchte ihren Verlobten in Chemnitz, der seine Freizeit "neuerdings mit Opernbesuchen u. Konzertbesuchen" verbrachte. Freikarten ermöglichten diese Besuche. Er fühlte sich aber in Chemnitz fehl am Platze, denn "lieber wäre ich schon beim Feldtruppenteil." Br.v.13.3.1940
Im Deutschen Reich galt nun die Sommerzeit, Regine fand das ganz in Ordnung und beteiligte sich auch eifrig an der Metallsammlung für die Rüstung.
Aber, es gab Veränderungen im Innenleben der Braut: "Mein Bauch meckert wieder... Heute werde ich mal nur von Zwieback und Haferflocken leben, mir graut ja davor." Es ist passiert, Nachwuchs kündigt sich an. Br.v. 2.4.1939
Neben einem Brief von Walter Hempel und von Unteroffizieren seines ehemaligen Zuges erhielt er Post aus Zabeltitz. Erstaunlich locker und launig schilderte darin der Schulleiter Schwaar die schulischen Probleme und die Auswirkungen des Krieges. "Wie Sie sehen, führe ich meinen Krieg immer noch mit Rohrstock und Verordnungen... In der Schule geht so das gewöhnte Durcheinander weiter. Am Mittwoch erhielten wir einen Kam. Weiß aus Radeburg zugewiesen, da wir die am schlechtesten bestellte Schule während des Winters gewesen sind. Am Freitagnachmittag kam er an und am Sonntag hatte er Gestellungsbefehl. Eine kurze Gastrolle von einem Tag... Seit den Feiertagen sind eine Menge Befehle eingegangen, 7 bis 8. Eigner Franz, den sie auch kennen, wird auch Artillerist... Frau Rentzsch, wo sie erst wohnten, liegt an den Folgen eines Schlaganfalls im Krankenhaus in Großenhain. Sonst hat sich nichts geändert. Vom Kriege ist ja hier fast nichts zu spüren." Über das Restkollegium ließ er sich aus: "Ein freudiges Bild wird es geben, wenn Fritz und Casi allein den Betrieb schaukeln werden. Das möchte man mit ansehen!" Der Leutnant erhielt noch in den nächsten Tagen eine Überweisung von 149.45 RM, sein Lehrergehalt aus Zabeltitz. Br.v.2.4.1940 Hitlers "Großdeutsches Reich" war bald auf dem Höhepunkt seiner militärischen Erfolge. In wenigen Wochen wurden Dänemark, Norwegen, die Beneluxstaaten und schließlich Frankreich nach kurzen Kämpfen besetzt. Schier unglaublich war die Begeisterung des Paares über diese Erfolge.
Regine: "Gestern und heute hagelte es wieder Sondermeldungen, ein britisches Schlachtschiff ist wieder mal zum Teufel. Nur weiter so, da ist der Krieg noch dieses Jahr zu Ende." B.v. 4.4.1940
Gerhard: "Was sagt denn Dein Vater zum Vormarschtempo des Führers. Der Führer ist doch eben auf allen Gebieten ein Genius. In dem Tempo wird es sicher weitergehen, bis London besetzt ist. Meine einzige Sorge ist nur, daß ich auch diesmal zu spät komme. Mein Entschluß, draußen abzukratzen, wird deshalb mit jeden Tag fester." Br.v.27.5.1940
Am 17.5.1940 begleitete er als Adjudant eines Marschbataillons 700 Soldaten von Chemnitz mit der Eisenbahn an die Westfront. Er berichtete von seiner "ersten richtigen Frontfahrt" in einem Brief an seine schwangere Braut. "Schon in der 1. Nacht bekamen wir den Krieg zu spüren; ein Nachtangriff mit Bombenabwurf und lebhaftem Flakfeuer jagte unsere 700 Mannschaften in die Luftschutzräume... Gefangenentransporte von Belgiern (2000—3000 Gefangene pro
Zug), Munitionstransporte bilden den kriegerischen Rahmen... Schreiben könnte ich Dir stundenlang über zerschossene Ortschaften... über das Flüchtlingselend, über Beutesammelstellen..." Er feiert mit den Offizieren; sie trinken in zerstörten Schlössern, wo sie Quartier beziehen, Wein vom Jahrgang 24, essen reichlich Butter und Eier. Aber all das konnte Leutnant G. nicht befriedigen. "Ich will zur kämpfenden Truppe." Er wollte wenigstens bei den Kämpfen um Paris dabei sein und dann als Fallschirmspringer gegen England kämpfen. Br.v.1.6.1940
Am 14.6.1940 war er wieder in Chemnitz bei seiner IG Ersatzkompanie 24 und bekam vom 19.7. bis zum 24.7. die langersehnte Kommandierung zur Fallschirmschule III in Broitzen bei Braunschweig. Bekanntlich hatte er sich bereits im Februar 1940 freiwillig zu den Fallschirmspringern gemeldet. Die Untersuchung ergab jedoch, dass er als Brillenträger für diese Waffen gattung untauglich ist. Untröstlich und niedergeschlagen musste er zu seinen Rekruten nach Chemnitz zurückkehren.
Sein Nachwuchs entwickelt sich, und der verhinderte Held wundert sich, dass seine Braut sich "in letzter Zeit so sonderlich" verhält.
Der tatendurstige Leutnant tut sich schwer mit der Regelung seiner zivilen, besser, privaten Angelegenheiten. Ziemlich spät erklärte er sich seinem Schwiegervater; mit seinen Eltern muss er reden und mit der "Heiraterei" nun Ernst machen. Für das Regiment braucht er noch ein amtsärztliches Gesundheitszeugnis. Es gibt keine Nachrichten über die vor allem für Regine schwierige Zeit der Vorbereitung auf die von ihr langersehnte Eheschließung...
Noch vor der Hochzeit schickte ihm Ewald Rühle 15.) aus Zabeltitz die gewünschte Kirchenaustrittserklärung nach Chemnitz. Der gottgläubige Lehrer-Leutnant folgte auch in dieser Hinsicht der NS-Ideologie.
Am 22. August 1940 fand die standesamtliche Trauung in Dresden statt. Eine bescheidene kleine Gesellschaft kam zur Hochzeitsfeier in die Sickingenstraße 5. Die Braut schmerzte es sehr, dass ein Teil der Wildenhaynschen Verwandtschaft der Feier fern bleibt. Der Bräutigam sprach von einer "schlichten Kriegshochzeit". Lediglich acht Verwandte erscheinen zur Hochzeitsfeier.
Das "Restkollegium" Carius, Schreiner, Peters aus Zabeltitz schickte telegrafische Glückwünsche.
Vier Wochen nach der Hochzeit hatte Regine einen Besuch ihrer resoluten (unverheirateten) Tante Hilde (Opeltante genannt). Sie haben sich entfremdet, da die Tante es nicht verstehen wollte, dass ihre Nichte erst in diesem Zustand geheiratet hat.
Der Bräutigam dagegen fühlte sich in seinem Garnisonsstandort Chemnitz "sehr einsam und verlassen" und er bat seine hochschwangere Frau, sich doch um seine Mutter zu kümmern. "Mein Vater wird doch sowieso skaten". Br.v.15.9.1940
Und dann kam, früher als gedacht, das Klavier. Bei der Firma Hofmann & Kühne wurde ein Klavier bestellt, das mit erspartem Geld und einem Ehestandsdarlehen finanziert wurde. Das Klavier (Pianetto) bleibt dann auch das einzige größere "Möbel", das angeschafft wurde. Die Wohnung des Schwiegervaters war ja ausreichend möbiliert, so dass weitere Anschaffungen nicht notwendig waren. Der frischgebackene Ehemann schrieb auf belgischem [Beute] Briefpapier nach Dresden und überlegt, welche Namen die schicklichsten für den neuen Erdenbürger wohl sein könnten. Gerlinde, Isolde, Rainer und Volker wurden erwogen. Sein Trachten galt aber nach wie vor, dass er bald zur aktiven, zur kämpfenden Truppe versetzt wird. Er wartete aber nun täglich auf das Telegramm, das die Geburt des Nachwuchses vermelden sollte.
Am 9.11.1940 schrieb Regine aus der Dresdner Frauenklinik in der Pfotenhauerstraße nach Chemnitz: "Aber daß wir nun unseren Buben haben, macht mich so sehr glücklich und Du bist doch auch zufrieden? Der kleine Kerl ist goldig, und hat einen besonders schönen Kopf. Haare sind wie Deine, die Äuglein noch undefinierbar. Er ist ziemlich artig und schreit selten." Auf der Rückseite des Briefes "schreibt" der erstgeborene Sohn schon, "Gestern, Freitag 18 Uhr bin ich glücklich auf der Erde gelandet. Ich bin rund, gesund und wiege 6 Pfund. Komme recht bald und begucke mich. Es grüßt Dich Dein kleiner Rainer." Br.v.9.11.1940
Am 13. November 1940 wurde Rainer Volker in der Klinik getauft. Hilde Grießbach, Elsbeth Wildenhayn und Johannes Schirmer sind die Paten, und der Pfarrer macht seine Sache gut.
Gerhard saß gerade beim Gänsebraten im Chemnitzer Offizierskasino, als ihn die freudige Nachricht erreichte. "Wir haben doch mehr Glück... Einen Buben bestellt und prompt kommt einer." Er kann nicht umhin, sein persönliches Glück in einen politischen Rahmen zu stellen: "Unser kleiner Rainer ist ja in einem für das Reich bedeutsamen Augenblick geboren: Zur selben Zeit, als Du unter Einsatz Deines Lebens neues Leben schenktest, sprach unser Führer. Der Geburtstag Rainers ist immer in der feierlichsten Zeit... [der] 8. und... [der] 9. November sind die Geburtsstunden des 3. Reiches... im schicksalssreichen Kriegsjahr 1940." Br.v.10.11.1940
Die junge Mutti kam erst langsam wieder zu Kräften, es war wohl eine schwere Geburt. Vorerst kam die Schwiegermutter aller zwei Tage zu ihr, um in der Wirtschaft zu helfen.
Der junge Vater war aber immer noch der Heißsporn, den es geradezu kränkt, dass er an den "Schicksalskämpfen" nicht teilnehmen kann.

15.) Rühle, Ewald (1911-1986), Einwohner (Landwirt) von Zabeltitz

Dem Ersatzheer entronnen

"Anfang Dezember 1940 kam Ltn. G. auf seine freiwillige Meldung zum Schützen-Regiment 101 nach Leisnig. Er gehörte nun zur 18. Panzerdivision. Sein Befehlshaber war [Generaloberst] Guderian 13.). Endlich war Lt. G. dem Ersatzheer entronnen und brauchte keine Rekruten mehr in Chemnitz auszubilden." Zitat aus dem Fotoalbum Nun hatte er es endlich geschafft und kann teilnehmen an den gewaltigen kriegerischen Vorbereitungen der Wehrmacht. Sein Kompaniechef war der Hauptmann Pepper 16.). Es gab noch einen Leutnant Kreuter 44.), mit dem er von nun an einen freundlichen Umgang pflegte.
Die junge Mutter Regine wurde von einer entzündeten Brust geplagt, was einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machte. Sie bekam Post von ihrer Patentante Mali aus Nürnberg, die an ihrem Schicksal Anteil nimmt. "Das tut mir sehr leid, daß Du mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen hast... Daß er gut gedeiht, freut und beruhigt mich, denn es langt schon, wenn ein Patenkind, und noch dazu das große, Sorgen macht... Zieh Dich nur warm an, vor allem nur Wollstrümpfe... Von Herzen wünsche ich Dir eine baldige Genesung..." Br.v.8.12.1940
Der "gläubige" Leutnant-Ehemann-Vater kündigte für das Wochenende, 14. Dezember, seinen Besuch bei einem hoffentlich gesunden Rainer und einer "ebenso munteren Mutter" an. Er war voll des Lobes über die "herrliche Führerrede", die ihn in seinem "Glauben an die "ungeheure Aufbauarbeit nach dem Kriege gestärkt" hat. Und: "aus den Worten des Führers entnahm man deutlich, welch gewaltige Pläne er hat." Br.v.10.12.1940
Seine Fahrten nach Dresden wurden durch den Dienst eingeschränkt. Im Rahmen einer Übung fuhr der Leutnant G. Anfang Januar 1941 mit 8 Kradfahrern nach Riesa und machte in Zabeltitz Station. "In Zabeltitz... schleifte ich meine Kradfahrer in die Schloßschenke, wo sie sich bei einem Glühwein ihre zerfrorenen Knochen auftauten. Ich fuhr mit meinem kleinen Ford inzwischen zur Schule. Obwohl die Pause längst vorbei war, saßen die Casi u. Schreiner noch beieinander... Peters hielt Unterricht. Ich besuchte ihn deshalb in seiner Klasse. Sie waren mit Hamburger Kindern aufgefüllt. Meine Klasse war natürlich sehr erfreut u. sie wußten erst gar nichts zu sagen... Die Jungens hatten, glaube ich, seit ich weg bin, nicht mehr die Haare gekämmt u. Geschnitten... Du glaubst gar nicht, was für Freude mir die 3/4 Stunde in Z. bereitete..." Br.v.Januar 1941
Bereits Anfang März teilte er seiner Ehefrau mit, dass der endgültige Abmarschtermin feststeht. Urlaubssperre! "Jetzt, wo man nicht mehr auf Urlaub kann, muß ich... an Rainer...und an mein Mäusel denken mehr als sonst. Ähnliches wie eine Friedenssehnsucht ist auch bei mir vorhanden. Nur möchte ich vorerst die Tommys versohlen..." Br.v.März? 1940
Hier irrte der Zugführer. Die militärischen Vorbereitungen der 18. Panzerdivision galten nicht dem Einsatz gegen England, sondern der neue alte Feind ist die kommunistische Großmacht im Osten. Im Rahmen eines Offiziers-Herrenabends hält ein Generalstabsoffizier der Division einen Vortrag über die Sowjetunion.

13.) Guderian, Heinz (1888-1954), General, Schöpfer der Panzertruppe
16.) Pepper, Hans (*1904), am 8.7.1941 im Osten gefallen, Hptm., Major, Bataillonsführer
44.) Kreuter, Georg (*1913), 1941 Leutnant in der Garnison Leisnig, 1943 Hauptmann; als Major gerät er im März 1945 in sowjet. Gefangenschaft, aus der er erst 1956 entlassen wird

Zdietin (Sdietin) — Generalproben für den Ostfeldzug

Am 28.3.1941 wurde das Regiment 101 nach Zdietin (Sdietin) im Protektorat Böhmen-Mähren verlegt. Die Fahrt im langen Militärtransportzug verlief ohne Probleme, nur bemerkte der Leutnant, dass "die Tschechen allem Deutschen kein sonderliches Interesse entgegenbringen. Zum Teil sahen sie direkt zur Seite..." Er war mit Leutnant Kreuter in einem Gutshof untergebracht und musste von seiner tschechischen Wirtin, die einigermaßen deutsch spricht, versorgt werden.
Die Truppen wurden für den bevorstehenden Feldzug gegen die Sowjetunion trainiert, so dass "eine Übung die andere jagt". Über das nächste Kriegsziel konnten die unteren Offizierschargen nur Vermutungen äußern.
Seine Ehefrau konnte ihn beruhigen, eine erneute Schwangerschaft steht nicht bevor und das findet sie gut so. Das kommt nach dem Krieg noch zurecht, meinte sie. Sohn Rainer wiegt fast 12 Pfund, der Arzt war zufrieden. "Essen tut er sehr gut!... Ich bin glücklich, daß unser Bub so gut gedeiht".
Ihre Schwiegermutter konnte ihr in dieser Zeit nicht zur Seite stehen, musste sie sich doch um ihren an der Stäupe leidenden Dackel Waldine kümmern.
Den Leutnant begeisterte die "interessanten Übungen", bei denen er als Zuschauer "aus nächster Nähe fast noch im Bereich der Splitter ein Scharfschießen der Panzer, der Artillerie sehen [kann]. Es war ein herrliches kriegerisches Bild." Der Schwiegersohn konnte es
nicht unterlassen, eine Art Mahnung an seinen ihm doch sehr zugetanen Schwiegervater zu richten: "Was für Bilder hat denn Dein Vater verkauft? Hoffentlich die Batseba... (richtig geschrieben?)" Br .v. 12.4.41
Zum Osterfest 1941 besuchten die Grießbach-Eltern mit Tochter Hilde die junge Mutter und ihren Enkel/Neffen. Der Dackel ist tot! Trotz gedrückter Stimmung wurde es noch "ein sehr gemütlicher Nachmittag. Für Unterhaltung sorgte unser Rainerle. Er spielt jetzt ganz reizend mit seiner Klapper. Dabei gibt er die sonderbarsten Laute von sich."
Ihrer Tante Mali in Nürnberg geht es gar nicht gut, "sie liegt nun wieder", offenbar unheilbar krebskrank. "Wenn sie nur nicht so schrecklich leiden muß wie meine arme Mutter, das wäre furchtbar." Br.v.15.4.1941
Der Ehemann berichtete in einem Brief vom 17.4.1941 begeistert über einen "sehr ereignisreichen Tag". "Heute war wieder einmal auf dem Übungsplatz eine Scharfschieß-Übung. Daran nahmen teil: der Div.-General. Der Kommandierende General u. der General Guderian. Dabei erfuhren wir, daß wir zum Panzerkorps 2 gehören... Guderian 13.) ist ja der Schöpfer der schnellen Truppen. Heute bei der Besprechung stand ich ganz in seiner Nähe. Er ist so eine richtige Hindenburg-Gestalt. Der ehemalige Kommandeur der Kriegsschule Dresden Lemelsen 12.) ist unser Komm. General. Guderian hielt nun eine begeisterte Ansprache an die Offiziere unserer Division, bei der er auf die Schwierigkeiten der kommenden Aufgabe hinwies." Br.v.17.4.1941
Die Stimmung war schwankend bei dem Leutnant; er nutzt einen freundlichen Apriltag zu einer Wanderung um Sdietin. "Sehr schöne Blicke hatte ich auf meiner einsamen Wanderung: Bösig, Jeschken, Schneekoppe waren zu sehen. Ich dachte oft: Wenn jetzt mein Mäusel mit da wäre! Vielleicht fahren wir mal im Frieden durch diese Gegend." In diesem "öden Dasein" eilten seine Gedanken zum heimatlichen Herd und seinen Sohn Rainer. "Unser Rainerle muß doch bald eine Blockflöte halten können? Vielleicht kann er schon spielen, wenn ich nach Hause komme." Br.v.21.4.1941 Sie glaubten also an einen kurzen und auch noch erfolgreichen Krieg. Bei Regine kamen Ängste auf, "Du kommst vielleicht in 4 Wochen fort,... doch nicht etwa nach Afrika... und sie hofft, "Wenn es nur dieses Jahr zu Ende ginge und wir uns endlich ein eigenes Nest bauen könnten..." Sie liebäugelt immer noch mit Zabeltitz als zukünftigen Wohnort. Br.v.26.4.1941
Gerhard war am 26.4.1941 noch immer in Sdietin und musste am Führergeburtstag die "Kompanie im Parademarsch am Oberst (Schrepffer] 14.) unter den Klängen (der]... Regimentsmusik vorbeiführen... Die Tschechen staunten natürlich. Sie hatten sogar in ihrem Dorf alle geflaggt u. zwar die Hakenkreuzfahne u. die blau-weiß-rote Protektoratsflagge." Er bekam von den tschechischen Quartiersleuten Verpflegung, "Mehlspeisen, Knödliges, Zickelbraten", die Bäuerin sei geizig, aber die "alte Mamsell bringt uns jedoch oft etwas herüber... Immer wieder "juckt es natürlich in allen Knochen, wenn wir täglich die herrlichen Sondermeldungen hören... Daß aber auch unser Tag kommt, hat uns zum Troste unser Generaloberst (Guderian) selbst versichert." Br.v.26.4.1941
Der Sohn ist ein "Staatskerl", der Doktor freut sich über den "strammen Kerl", der jetzt bereits 13 Pfund wiegt. Das schreibt Regine an ihr "liebes großes Grießebächel". Wenig erfreulich für sie war jedoch die Gehaltsabrechung, die sie von Walter Schreiner aus Zabeltitz erhält. "Wir kriegen bloß 233,— RM... Es ist eine Schweinerei, wie die Lehrer behandelt werden."
Br.v.28.4.1941
Gerhard fuhr nach Prag, besichtigte den Hradschin bei herrlichem Frühlingswetter und ärgerte sich über seinen Kompaniechef Pepper, der immer noch so "pepprig" sei. Und nun gab es wieder einmal Urlaubssperre; eine Übung bzw. "Vorführung jagt die andere." Die Vorbereitungen für den nächsten Kriegsschlag liefen auf Hochtouren, sein Kamerad, Leutnant Kreuter, holte neue Fahrzeuge aus Wien und Westdeutschland und dann wurde mit sämtlichen Fahrzeugen die Kolonnenfahrt geübt. Aus dem besiegten und besetzten Frankreich trafen ebenfalls fabrikneue Fahrzeuge ein.
In der 2. Maiwoche verbrachte er seine letzten Urlaubstage im Jahre 1941 in Dresden.
Rudolf Heß 38.) flog am 10. Mai 1941 mit einer Me Bf 110 nach England. Das ist natürlich Gesprächsstoff bei den Soldaten. "Meine Leute sagen: R.H. macht Quartier für die Armee in England. Auch eine Möglichkeit", resümiert der Leutnant G. Wie immer war er voller Zuversicht bei der Vielzahl der Sondermeldungen über die Erfolge der Wehrmacht auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen. Er spürte aber auch den Widerstand der Tschechen gegen die deutsche Besatzung: "In den letzten Tagen wurde uns ein Hetzblatt der Tschechen, das im geheimen... verbreitet wurde, vorgelesen. Daraus ging deutlich hervor, wie uns die Tschechen-Intelligenz haßt und wie sie den Kampf unter der Decke weiterführt..."
Natürlich hatte er Sehnsucht nach Frau und Kind, doch zunächst will er unbedingt an den bevorstehenden Kämpfen teilnehmen. Br .v. 25.5.1941
Am 29. Mai 1941 war es gewiss, der Leutnant Grießbach musste als Quartiermacher nach Ostpolen. Aber er freute sich schon auf die 800 km lange Autofahrt. Er ordnete seine Sachen, bestellte noch einiges aus der Heimat, besorgte Moskitonetze in Jungbunzlau [Mlada Boleslav] und gab seiner jungen Frau Ratschläge für ihre Freizeit und die Erziehung des Sohnes.
Am 4. Juni 1941 traf Helmut Wildenhayn 41.), "zünftig... mit Lederhosen und Affen" in Dresden ein, um mit seinem Onkel Hans Schirmer in der Sächsischen Schweiz zu wandern und zu klettern. "Er war die Feiertage schon mit seiner Flamme gewandert. Dem Rainerle schenkte er 5,— RM ins Sparbuch, das freute mich sehr. Von seinen Eltern brachte er für Rainer ein Lätzchen mit, sehr geschmackvoll. Helmut ist die gleiche Meckerseele wie früher. Politisieren darf man mit ihm nicht... Er scheint die Engländer noch für sehr anständige Menschen zu halten..." Br.v.4.6.1941
Die Wanderung des Großvaters mit dem Leipziger Neffen war erlebnisreich. Der 23jährige Ingenieur, dem Arbeitsdienst und Wehrdienst erspart geblieben waren, verweilte noch einige Tage in der gastfreien Sickingenstraße und half der jungen Mutter im Haushalt.

12.) Lemelsen, Joachim (1888-1954), General der Panzertruppen
14.) Schrepffer, Johannes (1893-1970), Oberst, Generalmajor, Regimentskommandeur
38.) Rudolf Heß, (1894-1987) NS Aktivist und Politiker, Stellvertreter Hitlers, 1945 als Kriegsverbrecher lebenslänglich in BerlinSpandau inhaftiert; endet durch Selbstmord
41.) Wildenhayn, Helmut (1918-2004), Ingenieur, Cousin von Regine Grießbach

Siedle

ist eine Stadt an der Verbindungsstraße zwischen Warschau und der sowjetischen Grenze.
Am 8. Juni 1941, einem Sonntag, "begann die sonnige u. erlebnisreiche Fahrt über das Glatzer Bergland hinein in das schmutzige Land, das so viel Blut sah und jetzt natürlich maßloses Elend über sich ergehen lassen muß. Uns kommt es so vor, als wolle man die P.[olen] u. die Juden vor allem verhungern lassen, denn kaufen können sich beide bei 100fachen Preisen... nichts." So schilderte Gerhard G. seine ersten Eindrücke, aber er relativiert die Auswirkungen des unsäglichen Besatzungsregimes gleichwohl mit reinster NS-Ideologie: "Aber diese Härten müssen sein: Jeder Volksdeutsche oder Umsiedler aus Rußland ist uns 1000mal mehr wert, als jeder Polacke oder Jude, die doch nur in den Tag hinein faulenzen... Für deutsche Begriffe lebt der Durchschnitt der p.[olnischen] Bauern wie die Tiere... Wenn irgendetwas in Ordnung ist, dann haben es seit kurzem erst Deutsche gebaut. Etwas ist allerdings überall in Ordnung: das sind die Kirchen. Dazu war anscheinend immer Geld da... Am interessantesten waren für mich zunächst die Juden... [so] sind die Juden wie in allen Städten im Ghetto untergebracht u. dürfen es nicht verlassen... Sie müssen jeden Soldaten grüßen. Sie tun das wie Affen: die Mütze wird nicht an der Krempe angepackt, sondern hinten. Meist verschwinden sie schon in ihren verwanzten Wohnungen. Wenn Soldaten kommen, betteln sie diese sofort um Brot an... Schon der Anblick der vor Schmutz starrenden, wirklich nur in Lumpen gekleideten Juden, erregt jedesmal Ekel... Alle tragen auf dem linken Arm eine Davidsstern-Binde."
Der Leutnant G. hatte die Aufgabe, Unterkünfte für die Kompanie, Latrinen und Wasser zu organisieren. Er bezog Quartier in der Schule, dem "saubersten Ort im ganzen Dorf". Der polnische Lehrer musste sich einschränken. Er ist aus Posen ausgewiesen und zudem seiner Habe beraubt worden. In zwei eisernen Töpfen muß die "uCitelka" (Lehrerin) für ihren Mann und zwei kleine Kinder kochen. Außerdem braucht unser Vorkommando dieselben Töpfe, um unseren Kaffee und die getauschten Kartoffeln (10 Pfund gegen 1 Päckchen Knaster) zu kochen..." Br.v.12.6.1941
Schließlich hatte er die Kompanie bei Warschau erreicht und in die neuen Quartiere geleitet. Sein Quartier beim Lehrer wurde vom Kompaniechef Hptm. Pepper belegt und er kommt mit Ltn. Kreuter beim Förster unter. "..der Förster ist ein sehr höflicher, fast unterwürfiger (wie alle P.[olen] jetzt) Herr, der sich sehr wenig sehen läßt. Ebenso seine Familie... Die Polen dürfen bei Todesstrafe keinen Apparat [Radio] benutzen, außerdem hat mein Förster seinen abgeben müssen." Gerhard G. wartet täglich auf den Einsatzbefehl, und wie immer voller Zuversicht bekundet er auch in diesem Brief seinen Glauben an den Führer: "Was der Führer vorbereitet u. durchführt, war unbedingt nötig u. richtig." Br.v.19.6.1941
Die Ehefrau Regine schrieb wöchentlich zwei Briefe an ihr "Grießebächel", wobei natürlich das Gedeihen und Befinden von Sohn Rainer großen Raum in ihren Berichten einnimmt. Am 19.6.41 schreibt sie u.a. "Unser kleiner Matz hat seit einigen Tagen Durchfall. Er ist daher ziemlich weinerlich und tüchtig blaß... Er [der Kinderarzt] verschrieb Tabletten, die hoffentlich bald helfen... Sonst ist er aber sehr brav und lacht und strampelt auch ab und zu..."
Die Wehrmacht stand angriffsbereit in Ostpolen, unmittelbar an der sowjetischen Grenze und Gerhard G. schrieb seinen "erste[n] richtige[n] Feldpostbrief... unter kriegsmäßigen Bedingungen... Dieser ungeheure Aufmarsch ist für ein Soldatenherz natürlich ein herrliches Erlebnis... Ich sollte in den letzten Tagen als Führerreserve zur Division kommen. Gottlob ist daraus nichts geworden. Kurz vorm Kampf seinen Zug, mit dem man zusammengewachsen ist, an einen anderen zu übergeben, wäre bestimmt schmerzlich gewesen..."
Br.v.21.6.1941
Mutter Regine erhielt nach längerer Postsperre endlich Nachrichten aus dem Osten, vom polnischen Aufmarschgebiet. Dass wieder ein Land mit Krieg überzogen werden wird, wurde allgemein erwartet die Goebbelssche Propaganda hält die Bevölkerung im Krieg-Sieges-Taumel "aber auf diesen Gegner hatten wir nicht gerechnet... Wir waren natürlich alle platt, als wir am 22. den Aufruf des Führers hörten," schrieb sie am 28.6.1941 an ihren Ehemann. Gleichzeitig fragte sie an, ob ihr "fernes Grießebächelein" nichts dagegen habe, wenn sie Anfang Juli mit ihrer Freundin Liesel Damaschek für drei Wochen nach Rothaus in Oberschlesien fahren würde. "Ich könnte mich da mal ordentlich ausruhen und hätte gute Luft und brauchte den ganzen Tag bloß Kinder hüten... Dort gibt es auch Eier, Speck und Butter mal hinten rum!" Regine sagte diese Reise aber kurzfristig ab und reiste auf Bitten ihres Onkels kurzentschlossen zu ihrer todkranken Patentante Mali Paulig nach Nürnberg, allein. Eine problematische Entscheidung, musste sie doch ihren "Matz" Rainer bei der "Muttel", ihrer Schwiegermutter, in Pflege geben. Die Umstellung behagte dem Kleinen zuerst gar nicht, und die Großmutter tat sich schwer im Umgang mit ihren Enkel. 14 Tage blieb die Mutter in Nürnberg und verlebte, gut untergebracht, Tage zwischen Unruhe, Behaglichkeit, Sorge und Ungewissheit.
Mit dem Datum 30.6.1941 schickte Gerhard G. eine erste Nachricht auf einer Feldpostkarte in die Heimat: "Es wird hier ein gräßlicher Kampf geführt, der uns in seiner Rohheit oft selbst zu weit geht. Aber mit Bolschewiken kann man nicht anders verfahren... Ich kann Dir jetzt nicht viel schreiben, da es immer vorwärts geht u. wir oft 4 Tage hintereinander nur halbstundenweise geschlafen haben. Sonst macht aber dieser größte aller Vormärsche (bis auf die großen Verluste) uns allen Spaß." Karte v. 30.6.1941
"Am Sonntag hörten wir die herrlichen Meldungen, es ist kaum faßbar, wie schnell unsere Soldaten vorwärts stürmen. Dem Bolschewik muß es ja unheimlich werden." So schrieb die Ehefrau in einem knappen Brief am 1.7.1941 und fügte hinzu, dass sie mit Sohn "Rainerle" bei den "Veilchenwegleuten" war, wo der Sohn "über den Hund von Onkel Reinhold sehr erschrocken war... das Hundel hatte vor Rainer noch mehr Angst und verkroch sich für den Rest des Tages."
Endlich, am 7.7.1941, hatte der Leutnant G. Zeit und Muße, um einen Bericht über seine Kriegserlebnisse nach Dresden zu schicken: "Zunächst die Hauptsache: Ich bin vollkommen gesund und unverletzt... Die ersten 10—12 Tage ging es im Galopp vorwärts. Der Russe leistet aber jetzt mehr Widerstand. Die Folge sind größere Verluste... Jetzt machen wir oft mal in einem der säuigen Holzdörfer halt und können die vollkommen zerlumpte Bevölkerung beäugen. Die sind fast durchweg froh, daß wir dem Bolschewismus den Garaus machen... Die riesigen Getreideflächen werden der Heimat zugute kommen..." Aber er sehnte sich doch auch nach der sauberen Heimat, ein geregeltes Familienleben er erlebt eine persönliche Krise: "Mein Wunsch, viel zu erleben, ist mehr als 100% erfüllt. Oft wird es mir selbst zu viel..." Briefe v. 7.7. u. 10.7.1941
Schließlich war der Leutnant G. froh, dass seine Einheit als Korpsreserve eine Zeit lang nicht an den Kämpfen teilnehmen musste. Sein Kompaniechef Pepper war nun Bataillonskommandeur, der mit dem EK I ausgezeichnete Kreuter wurde Kompaniechef. Es ging aber dann weiter, schier unaufhaltsam vorwärts, aber mit erheblichen Verlusten an Menschen und Material.
Die Infanterie-Geschütz-Kompanie lag am Dnjepr in Ruhestellung und der Ehemann und Familienvater hatte Zeit, einen langen Brief nach Hause zu schreiben. "Alle Gespräche der Kameraden drehen sich um die Heimat. Je schlimmer die Gefechte u. je höher die Verluste (Inf. 60—80%), um so sehnsüchtiger wünschen wir uns alle die Tage der Heimkehr herbei... Die Tage verliefen ungefähr folgendermaßen: Nachts 4.00 Uhr Abmarsch. Um 6.00 Uhr wurde die Spitze angeschossen. Bis um 12.00 Uhr wurde erbittert gekämpft... Ergeben gibt es bei den Russen selten. Jeder einzelne mußte erst niedergekämpft werden... Wir haben den Flintenweiberkrieg genauso kennen gelernt wie den Heckenschützenkrieg. Wir haben nächtl. Überfälle von fanatischen Bolschewikenhorden erlebt, wo gleich 5—6 Infanteristen durch Bajonettstiche fielen. Daß dieser Krieg auf die Nerven geht, versteht sich von selbst. Aber eins reißt uns immer wieder hoch: Es geht unaufhaltsam... vorwärts... Mit der Verpflegung... geht es seit einigen Tagen sehr gut... die herrlichen Konserven... Butter u. Fett fässerweise, feinsten Fisch in Tomatensauce, Ölsardinen, große Käsebüchsen... Entweder kämpfen, essen oder schlafen wir... Ich habe mir zur Feier des Tages sogar die Haare schneiden lassen..." Br.v.12.7.1941
Regine hatte fast drei Wochen keine Nachricht von ihrem "geliebten Schatz". Sie war noch bis Mitte Juli 1941 in Nürnberg. Rainer fühlte sich nun offenbar wohl bei seiner Großmutter. Die Mutter erlebte sonnige Tage, aber der dahinsiechenden Tante ging es immer schlechter. Regine begleitete ihre Neffen Wolfgang und Konrad nach Dresden, wo diese dann bei der Großmutter in Radebeul untergebracht wurden. Sie
hatte eine "schmerzhafte Sehnsucht" nach ihrem Ehemann. "Die Feldpost ist doch die einzige Freude, außer unserem Rainerle, die man jetzt hat." Br.v.16.7.1941
Leutnant Grießbach hatte mit seinem Zug am 16. Juli die sogenannte "Stalinlinie", ein "Tankhindernis, ein breiter Graben, überschritten" und war vorerst nicht an den Kämpfen beteiligt. Während in seinem Umfeld die Kompaniechefs und Bataillonskommandeure reihenweise fielen Hptm. Pepper am 8.7.1941 blieb Gerhard unversehrt.
Als Briefadresse schrieb er "vor Smolensk" und schilderte ausführlich seine Sicht der Zustände im "Sowjetparadies": "...die Russen miteinander leben wie das Vieh... In der Bude ein Gestank u. Dreck... Darin herumliegende zerlumpte Gestalten und bleiche mistige Kinder..." Und er schildert aus seiner Sicht die militärischen Aktionen der in Bedrängnis geratenen sowjetischen Verbände. "...die eingeschlossenen Russen brechen oft mal mit Panzern aus u. überfallen unsere wehrlosen Muni.-Kolonnen." Kreuter 44.), der bald zum Oberleutnant befördert wird, "hat mit einem kleinen Kommando einen im Wald festsitzenden Panzer schwerster Art durch eine Sprengung mit einer Handgranate erledigt... Ich habe bei dieser Gelegenheit das erste Mal auf massierte russische Infanterie geschossen... ich schoß mit meinem Geschütz 33 Granaten mitten hinein. Da flogen die Fetzen. Sie gingen sofort zurück u. suchten das Weite." Br.v.17.7.1941
Er wird am 13.7.1941 mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet, aber eine Beförderung kommt noch nicht in Frage. Er übernahm den III. [schweren] Zug und hat relativ ruhige Tage im Großraum Smolensk.
Die Briefe an die Front und von der Front waren mindestens 3 Wochen unterwegs, so dass sich gegenseitige Mitteilungen-Briefe, Karten u.ä. natürlich überschneiden. Leutnant Grießbach wurde zum Schützenregiment 52 abkommandiert. Mit seinen Äußerungen lag er genau auf der Linie der NSPropaganda: "Diese verfl. Bolschewiken sind daran schuld, daß der Krieg noch ein Jahr länger dauert. Aber wenn wir ein Großdeutschland für 1000 Jahre schmieden wollen, dann müssen wir auch die entsprechenden Opfer bringen, geschenkt wird keinem etwas. Und daß dieser Krieg bei der bolschewistischen Verhetzung der roten Armee sehr viel Opfer auf unserer Seite kosten wird, daß wird ja die Heimat an den Lazarettzügen merken. Aber lieber dieses Opfer als ein rotes Europa."
Guderian und der Divisionskommandeur wurden mit hohen Orden Ritterkreuz mit und ohne Eichlaub ausgezeichnet, er selbst hatte ja bekanntlich nur das E.K. II erhalten und musste auf das Panzerkampfabzeichen warten. Resigniert stellt er wohl sein Heldentum in Frage. "Natürlich ist das Motto der meisten, vor allem der Verheirateten: Lieber ohne Ritterkreuz zurück, als ohne Kopf mit Ritterkreuz." Eine erstaunliche Feststellung! Br.v.23.7. u. 30.7.1941
Der Zabeltitzer Schulleiter Gerhard Schwaar war nun auch Soldat geworden. Er schrieb am 31.7.1941 dem Kameraden Grießbach einen Situationsbericht. Er diente in Hohnstein/Sächs. Schweiz bei einer militärischen Einheit, die sich um die vielen Kriegsgefangenen zu kümmern hatte. Sein Bericht: "Wir bekommen morgen die ersten tausend Russen, die gleich zum Einsatz auf geschlossene Kommandos weitergeleitet werden." Schließlich schildert er Zabeltitzer Zustände: "Bis Mittwoch vergangener Woche war ich in Zabeltitz. Ich habe dort kurz mit Schreiner und Tante Casi gesprochen. Tante Casi hat schon einige Wochen ihre Mutter zu Besuch da... sie [die Mutter] kann keine Stufe steigen und kann infolge Rheuma kaum stehen. Sie wird im Rollstuhl herumgefahren.
Kam. Schreiner hat die Nase von der Schularbeit voll... Kam. Peters geht bis 15. Sept. in ein Herzbad, so daß Casi und Schreiner schließlich den Betrieb allein schaukeln müssen. In Zabeltitz ist die Getreideernte im vollen Gange [und] daß Willy Kaubsch (Guido) in Rußland den Heldentod gestorben sei..."
Br.v.31.7.1941
Gerhard G. lernte in der Etappe das russische Dampfbad schätzen; nach der gründlichen Reinigung "muß man unbedingt eine Stunde schlafen, nachdem man sich mit "Birkenreisern gegenseitig den Körper massiert hat." Seine Stimmung war sentimental wie so oft. Er schaute zurück: "An das saubere Zabeltitz denke ich manchmal. Sind doch mit ihm so schöne Erinnerungen an Tage, die wir dort zusammen lebten, verbunden. Ich sehe noch die alte Rentzschen stehen u. höre sie sagen: Wie ein Ehepaar... Selbst wenn ich nach dem Kriege nicht nach Zabeltitz kommen sollte, werden wir zwei es sicherlich besuchen, um alte Erinnerungen aufzufrischen... Aber so ausgeschlossen ist das gar nicht, daß in Zabeltitz eine Mittelschule errichtet wird. Das wäre für Dich u. für mich die Ideallösung. Kerns Rudolf 17.) würde sich sicher auch freuen..." Insgeheim wünscht er sich, dass die neueste Parole "Die ganze Gruppe (Guderian) soll von der Ostfront in die Heimat kommen..." nicht nur eine "Latrine"*4 ist. Br.v.9.8.1941

Smolensk 1941, Ltn. Grießbach vor dem Haus der GPU, 10.8.1941

Regine war stolz auf ihren kriegerischen Ehemann, der bei den Kämpfen um Smolensk mit dabei war. Und sie war sich sicher, dass jetzt der "Endschlag gegen die Roten" kommt.
Erfreuliches konnte sie über das Wachsen und Gedeihen von Sohn Rainer berichten: "Unser Goldsohn müßte jetzt Zweizahn heißen, er hat nämlich oben und unter ein Zähnchen. Das sieht sehr komisch aus... das Zahnen hat ihn eigentlich nicht sehr geplagt. Aber verfressen ist unser Matz... Er ißt 4 mittelgroße bis kleine Kartoffeln... Er könnte von früh bis spät essen... Stehen kann er schon sehr schön..." Br.v.8.8.1941
Das Ende des Krieges war nicht in Sicht, aber Regine machte sich schon Gedanken über eine gemeinsame Zukunft. "Ich bin jedenfalls mehr für den Westen, wenn wir doch in die neuen Gebiete wandern. Ich glaube auch, Du hast vom Osten genug. Wenn es sein muß, gehe ich natürlich mit."
Aus Nürnberg erhielt sie einen Brief von ihrer todkranken Tante wohl die letzte Nachricht mit einer dringlichen Bitte, dass "wir das Blümlein Ritterlichkeit in unserem Ehegärtlein recht hegen und pflegen. Sie hat es in ihrer Ehe leider sehr entbehren müssen." Br.v.11.8.1941 Amalia Paulig, geborene Wildenhayn, stirbt am 13. August 1941 in Nürnberg.
Das Schützen-Regiment 52 lag immer noch in verschiedenen Ruhestellungen. Gerhard G. hat die nötige Muße, um sich über seine Situation Gedanken zu machen: "...und hofften... auf neuen Einsatz. Aber anscheinend braucht man uns noch nicht. Meine Leute sind darüber nicht böse. Ieh würde allerdings gern wieder am Endsehlag teilnehmen. Der scheint nun, nachdem es in der Ukraine wieder schneller vorwärtsgeht, bald zu kommen. Gestern abend soll der Führer u. Göring
21.) in unserem Abschnitt gewesen sein." Und er blickte zurück auf unbeschwerte Zeiten und die überstürzte Hochzeit: "...dann kommen mir die spießigen Einwände der Verwandten und Nachbarschaft lächerlich vor... ich freue mich heute mächtig, daß uns unser Rainerle schneller zusammenbrachte... Wir müssen unseren geraden Weg gehen u. alle verlogenen bürgerlichen Hemmungen außer Acht lassen." Br.v.17.8.1941
250 km waren es bis Moskau, Gerhards Einheit war immer noch nicht im Einsatz, aber sie haben einen neuen Regiments-Kommandeur, den Oberst Erwin Jolasse 18.), der nachhaltig die Geschicke des Regiments bestimmen wird.
Hilde Grießbach schilderte in einem Brief vom 25.8.1941 ihre Beobachtungen vom Heranwachsen ihres Neffen Rainer: "Und was er für dicke Ärmchen & Backen bekommen hat. Das schöne blonde Haar hat er behalten." Hilde geht dann noch auf ein persönliches Problem der Familie ein. "Es ist jetzt eine neue Bestimmung, daß die Fahrzeuge, die stillgelegt sind und unter 1,5 l sind... aus dem Verkehr gezogen werden. Die Adler-Werke wollen gern unseren Wagen kaufen. Papa kann sich aber noch nicht so recht entschließen." Das aufgebockte Fahrzeug musste schließlich doch der Kriegswirtschaft zugeführt werden. Es war wieder ein Sonntag, um 18 Uhr ist beim Leutnant die "nötige Sonntagsstimmung eingetreten" und er hatte Zeit für einen längeren Brief. "Nach tagelangen Fahrten an der Front entlang nach Süden (wir fuhren wegen der verstopften Straßen oft nur 20 km am Tage) schirmen wir seit einigen Tagen wieder einen neuen Kessel ab... bei Brjansk und Gomel." Als dienstältester Offizier führte er nun die Kompanie für den erkrankten Chef. Ein 21jähriger "Schwabenleutnant" stand ihm zur Seite.
Der Vormarsch im Blitzkriegstempo hatte viele Schäden an den Fahrzeugen verursacht, jetzt kamen französische Fahrzeuge, "die fabrikneu geliefert wurden", zum Einsatz. Der Kompanieführer Grießbach hatte einen großen Adlerwagen zur Verfügung, den ein Dresdner Fleischermeister fuhr; von seinem neuen "ausgezeichneten Burschen" wurde er gut versorgt.
Br.v.31.8.1941
Der Krieg machte sich auch in Dresden bemerkbar. Regine berichtete ihrem Ehemann von einer "lebhaften" Nacht: "Seit sehr langer Zeit hatten wir wieder Fliegeralarm... Während die Alarmsirene heulte, hörte man schon tüchtiges Flak-Feuer. Der Alarm dauerte 2 Std., wir waren alle ganz steif gefroren. Rainerle hab ich nicht geweckt, ich hielt mich meistens im Hausflur auf. Flugzeuge hörte und sah man keine. Wahrscheinlich sind sie gar nicht bis Dresden gekommen." Um 3 Uhr in der Früh war der Alarm zu Ende und Sohn Rainer meldete sich um 4 Uhr! Br.v.3.9.1941
Kämpfe, der neue Bursche des amtierenden Kompanieführers Grießbach, musste dessen Wäsche kochen, die 14 Tage nicht vom Leibe kam. Der Leutnant G. sitzt in einer "sauberen Bauernstube" und lässt sich eine "gute deutsche Zigarre schmecken"; er denkt an die militärischen Aktionen der letzten Tage: "Wir haben einige Tage mit schwächsten Kräften stärkste Angriffe der Russen erfolgreich abgewehrt. Meist kommen bei den Angriffen frühmorgens 2—3000 Infanteristen und einige Panzer. Meine 3 Zugführer haben ganz hübsch hineingefunkt. Die Verluste bei unseren Schützen sind verhältnismäßig gering. Meine Kompanie hat keine Ausfälle." Kriegsbeute kann in diesem erbarmungslosen Krieg kaum erhofft werden. "Hier im roten Paradies ist doch nichts zu haben. Hier läuft alles in Lumpen herum... Jetzt neulich habe ich in einem Dorf Dein Bild und Rainers Bilder gezeigt. Die staunten und zeigten sofort auf ihre zerlumpten Kinder und schimpften mörderisch auf Stalin. Allmählich lernen wir einige Brocken russisch..." Br.v.10.9.1941
Der Kommissarbefehl*19 und die chauvinistische Propaganda der NS-Regierung zeigten Wirkung, auch beim Leutnant G.: "Es sind doch größtenteils Tiere. Vor allem die Kommissare. Wenn die Russen angreifen, baut hinter ihnen ein Kommissar ein MG auf. Wer also nicht durch unsere Kugeln fällt, wird beim Zurückgehen durch den Kommissar erschossen. Andererseits sind die Kommissare immer die, die sich selbst in Sicherheit bringen. Ich habe im ganzen Feldzug noch keinen zu Gesicht bekommen u. habe doch etliche 1000 Gefangene vorbeitraben sehen. Br.v.14.9.1941
"Wenn wir bloß wüßten, ob du noch gesund bist, das ist doch vor allem die Hauptsache", begann ein Brief Regines vom 22.9.1941. Die Feldpost benötigte ungefähr 3—4 Wochen, so dass die Angehörigen lange Zeit im Ungewissen über das Schicksal ihrer Lieben blieben. Regine berichtete dann noch u.a. von einem Besuch mit Rainer und ihrem Vater bei der Tante Hilde in Radebeul. "Wir tranken im Garten Kaffee, Rainer kullerte auf dem Rasen herum... Das Abendbrot für Rainer hatte ich mitgenommen, es schmeckte ihm herrlich im Freien. Gegen Halb 8 fuhren wir wieder heim, reich beladen mit Pflaumen, Hollunder, Staudensalat u.s.w... Gegen 9.00 Uhr waren wir endlich zu Hause, Rainer schlief sofort ein... In derselben Nacht kam noch Fliegeralarm, ich habe nicht schlecht geschimpft, von Halb 1 bis Viertel 2 dauerte die Ruhestörung... Meine 2 Männer haben davon gar nichts bemerkt, sie schliefen um die Wette."
Einige Tage später war sie bei "den Leuten vom Veilchenweg", "...wir lagen auf der Wiese in der Sonne. Rainer machte Nacktfrosch, er fühlte sich sehr wohl... Onkel Reinhold war natürlich nicht zu Hause, auch das Hundel nicht. Wir tranken dann noch gemütlich Tee im Garten, Rainer bekam seine Flasche. Tante Elf freute sich sehr über ihr Patenkind." Br.v.22.9.1941
Ab 1. September 1941 mussten alle Juden in Deutschland den diskriminierenden Judenstern*3 tragen. Plötzlich wurde in der Öffentlichkeit sichtbar, wer Jude ist und Regine erlebte es am 24.9.1941 in der Straßenbahn der Linie 3. "...fuhren mit mir 5 Juden. Diese müssen sich jetzt mit dem gelben Stern auf der linken Seite sichtbar machen. Es waren typische Judengesichter, die Frauen ganz nett, eine sogar blond!... Sie stiegen auch Haydnstr. aus und gingen alle in das neue Werk, dort müssen sie wahrscheinlich arbeiten. Man staunt, wieviel Juden es noch bei uns gibt, jetzt sieht man's erst, wer Jude ist. Meistens sind es sehr gut angezogene Menschen..." Br.v.25.9.1941
Moskau sollte genommen werden und die Vorboten des russischen Winters machen sich bemerkbar. "...wie Du schon richtig vermutest, sind hier wieder große Dinge im Rollen... Verpflegung und Munition sind wichtiger als Post." schrieb Gerhard G. nach Dresden. Und wenig später schilderte er die militärische Lage: "Wir sind nach Nordosten abgedreht und haben gestern Karatschew genommen. Brjansk war dadurch abgeschnitten u. ist gestern Abend gefallen. Es geht fast so schnell wie am Anfang vorwärts. Der schlimmste Feind ist jetzt der Schlamm, wenn es regnet oder schneit... Wir sind aber schon froh, wenn die Feldküche viel Fleisch und ähnliche Dinge liefert. Bescheiden sind wir alle geworden..." Br.v.7.10.1941
Regine hoffte, dass der "rote Krieg" doch noch vor Weihnachten mit der Einnahme Moskaus beendet sein wird. Die Sondermeldungen zeigen doch "einfach herrlich, wie wir die Bolschewiken verbleut haben." Sogar ihr sonst so skeptischer Vater hat nun vollstes Vertrauen in den politischen und militärischen Verstand des Führers.
In einer knappen Nachricht auf einer Feldpostkarte vom 11.10.1941 erfuhr Regine, dass der Vormarsch auf Moskau doch nicht so ganz einfach ist: "Nach schweren Kämpfen schicke ich dir ein kurzes Lebenszeichen. Gestern bin ich wieder mal haarscharf vorbeigekommen. Ein 42 Tonner hatte unsere Fahrzeuge zusammengeschossen. Von meiner Komp. 2 Wagen. Ich bin allen Gepäcks ledig... Sogar mein Tagebuch ist hin... Leider fiel dabei unser Kompaniechef u. sein Bursche. Ich führe die Komp. Es werden hier täglich Tausende von Gefangenen aus dem Kessel geholt... in Eile herzliche Grüße..." K.v.11.10.1941
"Morgen sind es rund 5 Monate, daß Du von uns fort bist! Wer hätte gedacht, daß wir uns so lange nicht sehen sollten" schrieb Regine am 14.10.1941 an die Ostfront und fuhr fort, "Ich tröste mich immer damit, daß ich bestimmt die längste Zeit gewartet habe. Man wird ja so bescheiden und klein mit seinen Wünschen." Familiennachrichten beschließen den Brief vom 14.10.1941. "Heute bekam ich von Helmut 41.) einen Brief. Er ist von seiner Firma nach Augsburg versetzt worden, vordem war er einige Wochen in Bremen. Es gefällt ihm in Augsburg prima, allerdings ist es ein bißchen weit nach Leipzig. Er hat dort sein Mädel, mit der er sich vor kurzem inoffiziell verlobt hat."
Zwei Tage später besuchte Ernst Wildenhayn, Bruder von Regines Mutter, seine Verwandten in der Sickingenstraße und bringt Zigarren, Wurst und Tiroler Roten mit. "Er ist immer noch im ,Weißen Roß'... Er erzählte wieder allerhand Interessantes aus Amerika, es war ein gemütlicher Abend."
Gerhard war wieder einmal Kompaniechef, da Oberleutnant Rodrian, der nur kurze Zeit die Kompanie führte, mit dem bekannten Burschen, Oberschütze Kämpfe (er war auch Gerhards Bursche), nach einem Volltreffer durch eine russische Granate den Kriegstod sterben mussten. "Fast langt die Zeit nicht, um die Angehörigen der Gefallenen zu benachrichtigen". So im Brief vom 24.10.1941 an seine Ehefrau Regine. Aber auch militärische Erfolge konnte er gleichzeitig vermelden: "Eine sehr langsam fliegende russ. Transportmaschine habe ich selbst mit anderen Kameraden mit der Maschinenpistole (MP. russ. Beute) abgeschossen. 5 Mann Besatzung wurden von uns gefangen genommen."
Ende Oktober, der russische Winter kündigte sich an, die Straßen waren durch den Wechsel von Frost und Tauwetter kaum passierbar geworden, lag der Leutnant mit seiner Einheit zunächst in einer Ruhestellung, die Fahrzeuge mussten instand gesetzt werden und ihm kamen wieder einmal heimatliche Gedanken. Oberleutnant Kreuter, der Leisniger Kamerad, schenkte ihm eine "sehr kostbare Flöte, fast neu, russ. Fabrikat". Aber: "In ruhigen Stunden mache ich oft die Augen zu und versuche die häßliche Umgebung zu vergessen. Dann erscheint mein liebes Mäusel mit unserem Rainer vor mir. Ich höre Klavierspiel von unserem kleinen Klavier u. sehe anständig gekleidete Menschen um mich. Und vor allem: Abends schläft man wieder ohne Stiefel u. Uniform in einem Bett u. kann seinem Mäusel vorm Schlafengehen beliebig viele Gute-Nacht-Küsse geben." Br.v.26.10.41
Sehnsucht, Sorge um den Mann und das Alleinsein machten Regine zu schaffen. Gelegentliche Kinobesuche brachten etwas Abwechslung in den Alltag der ständig auf Post wartenden Ehefrau.
Am 30.10.41 nahm sie an einem Treffen von Mitschülern der Friedelschule einer Dresdner Privatschule im Blasewitzer Dampfschiffhotel teil. Dort traf sie auch ihre vertraute Freundin Inge Menzel geborene Drescher, die in Freiberg lebte, wieder. Die Gespräche kreisten um die Kinder und die im Krieg stehenden Männer.
Die "Wochenschau zeigte viele interessante Bilder vom Krieg im Osten", auch wenn nicht verschwiegen wurde, dass der russische Winter den noch siegreichen deutschen Truppen zunehmend Schwierigkeiten bereitete, wurde die propagierte Siegeszuversicht von der Bevölkerung vorwiegend kritiklos hingenommen.
Am 11.8.41 wurde Gerhard G. das begehrte Panzerkampfabzeichen verliehen, die Auszeichnung erreichte ihn erst am 1. November 1941. "Ich bin sehr stolz auf dieses Abzeichen. Der Träger dieses Abzeichens muß mindestens 3 Einsätze mitgemacht haben, wobei er mit der blanken Waffe einen Einbruch in feindliche Linien vorweisen muß." Und diese Anforderungen hatte der Leutnant G. erfüllt. Mit Marketenderware Mokkalikör und guten Zigarren feierte er mit seinem Kompanietrupp diese Auszeichnung.
Er hatte mit seiner Kompanie an den Kesselschlachten bei Kiew und Brjansk teilgenommen, wobei er keine Kampfaufgaben an vorderster Front hatte. Hohe Verluste über 20 Offiziere seines Regiments tot oder verwundet waren zu beklagen, das tat aber seiner Siegeszuversicht keinen Abbruch. Der Regimentskommandeur, Oberst Jolasse, wurde schließlich für den schnellen Vormarsch mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. "Nun hat er erreicht, was er immer anstrebte." So zitierte der amtierende Kompaniechef die Meinung seiner Leute und wohl auch seine eigene.

17.) Kern, Rudolf (1903-1945 vermisst), Einwohner von Zabeltitz, aktiv im Turnverein
18.) Jolasse, Erwin (1892-1987), Sept. 1941 Regimentskommandeur des Schützenregiments 101; -1942 General, hochdekorierter Durchhaltemilitär
21.) Göring, Hermann, im 1. Weltkrieg Jagdflieger, Naziaktivist, Stellvertreter Hitlers

"Vor der Laterne, vor dem großen Tor..."27.)

"Das Laternenlied von der Lili Marlen ist das Leibund Magenlied der ganzen Ostfront... 22 Uhr vom Belgrader Rundfunk..." Es sollte zur Ermunterung der Frontkrieger bei dem sich in die Länge ziehenden Blitzkrieg dienen. Der Kommandeur, Oberst Jolasse, redete von einem 30jährigen Krieg, der 1914 begonnen haben sollte. Ob das zum Trost seiner Leute reichte, ist kaum anzunehmen, zumal sich die Bedingungen für die deutschen Okkupationstruppen spürbar verschlechterten. Im gleichen Bericht schilderte Gerhard das Leben in einer sowjetischen Stadt: "Das russische Elend ist hier in den russ. Großstädten noch größer u. mehr sichtbar als auf dem Lande... Überall Dreck und Plunder. Hier ist die Zeit 40 Jahre zurück... Orel ist ziemlich zerstört von in letzter Minute abziehenden Sprengkommandos. Täglich werden hier auf dem Marktplatz Partisanen aufgeknüpft. Morgen werde ich die grausige Stätte der Hinrichtung fotografieren. Kino ist auch in Aussicht, ebenso eine Entlausungsanstalt."
Die Kompanie war am 13. November 1941 auf dem Marsch nach Mzensk. Der Kompaniechef Grießbach fühlte sich in den Tagen der Ruhe direkt wohl in seiner "Russenbude". In einem modernen Kinopalast für 600—800 Personen sah er einen Marika-Rökk-Film und mehrere Wochenschauen.
Aber: Er hatte die Hoffnung aufgegeben, Weihnachten in der Heimat zu sein. "Wir richten uns jetzt so langsam auf das Überwintern ein." Br. v.12.11.1941
Am 20. November 1941 gab es östlich von Orel zwar Temperaturen von —10°C, aber noch keinen Schnee, so dass Gerhard um warmes Wollzeug, Kerzen und Puddingpulver bittet. Er wurde jedoch von seinen Leuten recht gut versorgt: "...wird jetzt von
meinem Kompanietrupp für das leibliche Wohl gesorgt: 4 Hühner für 5 Mann... Wenn Ihr zu Hause so viel hättet wie wir?! Aber dafür fehlt uns der andere Komfort der Heimat."
"Mit Sehnsucht denke ich jetzt kurz vor Weihnachten an die Heimat, an Dich u. Rainer, an alle Lieben zu Hause, ans Klavier, das verwaist in der Ecke steht u. an alles, was mir die Heimat in goldigem Glanz zeigt... Diesen Winter müssen wir überstehen und sicherlich in Rußland... Trotzdem sehen wir durch den immer schwächer werdenden Widerstand der Russen alle mit Zuversicht auf den baldigen Endsieg über den Bolschewismus. Um so schöner wird dann die Ruhe u. die Heimkehr sein."
Br.v.27.11.1941
Der erbarmungslose Krieg nimmt seinen Fortgang. "Gestern war die Stimmung bei uns ziemlich gedrückt, da wir einen Toten u. 2 Schwerverletzte durch einen Tieffliegerangriff hatten. Alles verheiratete Leute. Die Rache folgte aber bald. Gestern haben wir einen Angriff gestartet, bei dem etliche Russen weggeputzt wurden, 2 Geschütze, viele Mgs und Fahrzeuge erbeutet wurden und 200 Gefangene gemacht wurden. Darunter sogar eine Russin, angezogen wie die übrigen Soldaten. Als Belohnung für die letzten Kämpfe konnte ich etliche Eks und Kriegsverdienstkreuze verleihen. Gesund bin ich trotz der Läuse u. Flöhe..." Br. vom 30.11.1941
Regine war am 1. Advent mit Rainer und ihrem Vater allein, ohne Hoffnung dass der Ehemann bald nach Hause kommt. Sie schilderte Rainers Entwicklung: "Rainer macht jetzt eifrige Anstrengungen, allein zu laufen, 1-2 Schritte gelingen, dann purzelt er wieder um... In der Dämmerstunde zündete ich die Kerzen meiner kleinen Kapelle an. Da guckte aber das kleine Mäusel. Am liebsten hätte er alle heruntergeholt." Br.v. 1.12.1941
Am 2.12.1941 schrieb Gerhard G. den "Weihnachtsbrief" und hierin schilderte er die Kampfhandlung, bei der er seine gesamte Habe verlor: "Ich fuhr mit Oberleutnant Rodrian zur Erkundung der Feuerstellung voraus. An einer großen Feldscheune entdeckte ich den Turm eines schweren russ. Panzers... Ich beobachtete genauso wie Rodrian im Wagen stehend mit dem Glas den Panzer u. sah wie der Panzer plötzlich seine 7,5 cm Kanone herumdreht. Meine Wagenbesatzung... waren mit mir sofort 5 m vom Wagen weg hinter einer Scheune in Deckung gegangen. Im Wegspringen sah ich gerade noch wie der 50 m vor mir stehende Wagen Rodrians einen Treffer bekam. Ich mußte... zusehen wie dieser Panzer mehrere Fahrzeuge von uns zerschoß, darunter erhielt auch mein Zugführerwagen 2 Treffer, von denen einer den Kofferraum wegriß u. der andere den Motor zerstörte. Gebrannt hat er auch. Alle Sachen..., die nicht durch die Granaten zerstört wurden, hat der Russe am folgenden Tag geplündert... Rodrian bekam durch den ersten Schuß 18 Splitterchen in den Dickdarm u. Unterleib u. ist an den Folgen im Feldlazarett Nawlja verstorben. Sein Bursche (mein früherer Kämpfe) war beim ersten Schuß sofort tot. Beide Beine hat es ihm abgerissen... Die Leiche von Kämpfe brachten unsere Panzer erst am nächsten Tag mit... Wie Du siehst, mein Mäusel, hatte ich bei der ganzen Geschichte sehr viel Glück, aber das muß man in Rußland auch haben..."
siehe 11.10.41
Gerhard wollte in die Erziehung seines Erstgeborenen eingreifen. Nach einem Bericht von seiner Schwester Rainer war bekanntlich zwei Wochen bei den Großeltern richtete er am 8.12.1941 mahnende Worte an sein "geliebtes Frauchen": "Dein Vater verwöhnt Rainer ganz und gar! Großmutterund Großvatererziehung ist ja meist nicht sehr schlecht. Wenn Rainer jeden Willen bekommt, wird er sicher sehr eigensinnig werden u. oft Anlaß zu Familienstreit geben. Denn nichts bringt mich mehr in Zorn, als ein Kind, daß andauernd schreit, wenn es nicht seinen Willen hat. Gib ihm nur ab u. zu einen kräftigen Klaps u. lasse ihn ruhig mal schreien." Im gleichen Brief bestellte er dann noch ein Steckschachspiel und Bücher, damit er den Winter in seinem Quartier östlich von Welowo besser übersteht.
Am 19.12.1941 befahl der Divisionskommandeur Oberst Erwin Jolasse den Offizieren Grießbach und Altermann sieben Gefangene zu erschießen. Der Befehl wird ausgeführt! Lediglich eine kommentarlose Notiz im Tagebuch des Ltn. Grießbach erinnert an dieses Ereignis einer gnadenlos menschenverachtenden Kriegsführung.

27.) Lilli Marleen, Schlager; nach einem Text von Hans Leip komponierte Norbert Schulze 1939 dieses an allen Fronten sehr populäre von Lale Andersen gesungene eingängige Lied

"Es ist das erste Weihnachtsfest, das Du nicht daheim verleben kannst."

Die Bescherung war vorüber und Mutter Regine ließ noch einmal diesen Weihnachtabend vorüberziehen. "Gegen halb 7 brannte mein Vater die Kerzen an, ich faßte mein Rainerlein am Händchen und so gingen wir zusammen unter den Lichterbaum. Rainer guckte sehr erstaunt, lachte und strampelte vor Vergnügen. Da mußte ich schnell meine Tränen verschlucken..., ob es wohl das letzte Kriegsweihnachten ist?... Mein Vater hatte mir reichlich beschert... Er hat jetzt für fast 1000,— RM verkauft... Ich schaffte ihn [Rainer] zu Bett, nachdem er unterm Lichterbaum sein Abendbrot (Quark mit Preiselbeeren) verzehrt hatte. Wir löschten dann die Lichter und verzehrten unser Abendmahl: Kartoffelsalat, Ölsardinen, Wurst, Käse... Als vorhin die wunderschönen Weihnachtslieder erklangen, da mußte ich mich doch gewaltig zusammennehmen, um nicht vor lauter Heimweh nach Dir loszuheulen..." Die Weihnachtsansprache Joseph Goebbels erreichte dann auch Mutter Regine und wurde von ihr wohl als Trost für verlorenes gemeinsames Glück angenommen.
Ein ganz anderer Heiligabend 1941 Feldlazarett Orjel: Statt mit seinen Kameraden das Weihnachtsfest zu feiern, lag der Leutnant Gerhard G. im Lazarett und schreibt einen längeren Brief an sein "geliebtes Frauchen": "Nicht erschrecken! Mir geht es wohler als sonst... Trotzdem ist es zum Kotzen, gerade am Heiligen Abend in solch einem uneingerichteten Feldlazarett zu sein, so muß ich doch dem Herrgott danken, daß ich... [so] davonkam... Nun die Vorgeschichte dazu. Am 22.12. flog wie schon oft eine Rata*2 über unser Dorf. Sie schoß mit Bordkanonen u. warf einige Bomben. Eins dieser Dinger ging 1,5—2m neben mir hoch. Nach menschlichem Ermessen konnte von mir dabei nur noch Preßwurst übrig bleiben. Nichts von alledem traf ein... Als ich mich vom Schreck erholt hatte u. in der Sprengwolke meine Glieder befühlte, waren sie alle noch heil... Die Bombe war zufällig hinter einer 30 cm hohen Bodenwelle losgegangen, so daß der ganze Splittersegen nur nach oben losgehen konnte. Nur mein Gehör hatte der starke Luftdruck gewaltig mitgenommen. Ich... höre auch jetzt bedeutend schlechter, da... beide Trommelfelle fast ganz zerrissen... wurden..." Br.v.24.12.1941
Der 22. Dezember 1941 bildete eine besondere Zäsur im Militär-(Helden-)Leben des Gerhard G., hatte er doch den "Schlamassel"*1 hautnah erlebt: massenhaftes Sterben, die menschenverachtende Kriegsführung und eine Vielzahl von Gefechtshandlungen, und nun die erste Verwundung. Panzerkampfabzeichen, Eisernes Kreuz und Verwundetenabzeichen schmückten seine linke Brustseite. Er glaubte, in zwei bis drei Wochen wieder dienstfähig zu sein, hatte er doch bei allem Heldentum noch keinen höheren Dienstrang erreicht. Aber dann kam es doch anders.
In seinem Tagebuch notierte er zum 24.12.1941 folgendes: "...schlaflose Nacht. Früh packe ich meine Sachen ordentlich zusammen. Zwei Kerzen von zu Hause mit einigen Tannenzweigen erinnern mich daran, daß heute Weihnachten ist... Kein Wasser und kein WC. Alles schmutzig, mürrische Landser als Personal... Es schneit draußen. Abends Bescherung mit Hauskapellenmusik. Zwei Tafeln französische Schokolade... 1/2 Flasche Schnaps, zwei Tafeln Balsenkeks und Zigarren. So rechte Weihnachtsfreude will in der fremden Umgebung nicht aufkommen. Beim Schein der Weihnachtskerze lause ich noch einmal mit Erfolg..."
Am 1. Januar 1942 schrieb er aus dem weiter westwärts gelegenen Brjansk einen Neujahrsgruß an Regine. "Bis Brjansk hat uns ein behelfsmäßiger russ. Lazarettzug (Güterwagen mit Kanonenöfen) gebracht. Die nächste Etappe soll Gomel sein. Ganz Unentwegte (darunter Dein Gerhard) hoffen immer noch auf einen Weitertransport bis nach Hause... Sylvester gab es eine tolle Schießerei im Lazarett, so daß wir erst an einen Partisanenangriff glaubten. Es war aber nur die Freude des San.-Personals über das neue Jahr. Jeder bekam 1 Flasche Sekt, Plätzchen, Glühwein u. 1 Tafel Schokolade... Nur furchtbar eng und verlaust ist alles. 6 Offiziere wohnen wir zusammen in einem kleinen Raum. Darunter 2 adlige Majore..."
Am 30.12.1941 bekam Regine endlich "Post in rauen Mengen" und noch zwei Päckchen. "Da ist aber was Feines drin gewesen. Wo hast du bloß diesen herrlichen Stoff her? Das ist richtiges Leinen... Ihr habt wohl einen Laden geräubert oder es in Eurem Quartier gefunden?... Man hätte gar nicht gedacht, daß es im ,roten Paradies' so gute Sachen gibt... Das Parfüm hat einen sehr aufdringlichen Geruch... Mein Geschmack ist es leider nicht. Richtig russisch! Hier im Reich findet jetzt eine Wollsammlung statt... Die gesammelten Wollund Pelzsachen werden schnellstens an die Front befördert... Rainer ist immer quietschvergnügt. Das Laufen geht täglich besser..." Sie ging gern ins Kino und kommentierte in diesem Brief den Film Heimat: "Es ist dies ein erschütterndes Bild von den Leiden der Deutschen in Polen. Als die Deutschen die Gequälten befreiten, ging fast ein Aufatmen durchs Kino..."

1942

"Nach fast vierzehntägiger Fahrt landete ich heute in dem vorzüglichen Lazarett von Krakau, wo mich morgen ein berühmter Ohrenarzt untersuchen wird... Die Verpflegung ist wie in Friedenszeiten in einem besseren Hotel... Es besteht die Möglichkeit, daß ich mit einem Lazarettzug weiter nach Deutschland hineinkomme... Sicherlich gibt es einen kurzen Erholungsurlaub zu Weib u. Kind... Volker [Gerd] könnte also noch 1942 geplant werden?" Br.v.6.1.1942
Regine, hocherfreut über die relativ leichte Verletzung von Gerhard, schickte am 10.1.1942 einen Brief nach Krakau. Im Mittelpunkt ihres Berichts steht natürlich der Sohn Rainer, und dann hatte sie auch den Wunsch, Zabeltitz einen Besuch abzustatten: "Du, Liebster, wollen wir mal einen Tag nach Zabeltitz,
wenn Du Urlaub bekommst? Es würde uns beiden und sicher auch den Zabeltitzern eine große Freude sein."
Eine Woche später, am 13.1.1942, schrieb Gerhard Geburtstagsgrüße an Regine aus Nürnberg. "Mit List und Tücke bin ich in Nürnberg ins Lazarett gekommen... Meine Mittelohrvereiterung ist im Abklingen, so daß ich sicher bald in ein Heimatlazarett verlegt werde... Der Transport hierher ging in einem fabelhaften Laz.-Zug mit Küchenwagen vor sich. Ich saß mit einigen Leutnants, die erfrorene Füße hatten, in einem II. Klasse-Wagen. Überhaupt sind sehr viele Erfrierungen unter den Verletzten."
Am 24. Januar 1942 früh 3.00 Uhr traf Gerhard in Dresden ein und erreichte zu Fuß sein Zuhause. Damit war vorerst eine wichtige Etappe im Leben des Lehrer-Leutnants beendet. War er nun ein Held geworden im "Schicksalskampf des deutschen Volkes"?
Ich habe keine schriftlichen Zeugnisse aus dieser Zeit im Nachlass gefunden. Die Deutsche Dienststelle konnte für das Jahr 1942 keine Aussagen über den Einsatz von Gerhard G. machen, lediglich seine Beförderung zum Oberleutnant per 8.2.[1.1.]1942 wurde dokumentiert.
Der Vater-Ehemann war in Dresden stationiert und es ist zu vermuten, dass er als Kompaniechef Nachschub für die Fronten ausbildete. Als verwundeter Teilnehmer des Ostfeldzuges brauchte er vorerst nicht in das östliche Kampfgebiet zurückzukehren. Aber schon Juli/August kommandierte er eine Genesenenkompanie, mit der er schließlich in Schönfeld bei Weißig in Quarantäne lag und auf den Fronteinsatz wartete, zu dem er sich wieder freiwillig gemeldet hatte.

Wieder an die Ostfront

Am 21. August 1942 schickt Gerhard eine kurze Mitteilung an seine Ehefrau: "Ich führe hier eine Genesenen Marschkompanie, die am 25.8 marschbereit sein muß... Urlaub wird hier in K.-brück für die Gen. Marschkompanie einschließlich den Offizieren nicht gewährt. Ich wünsche Dir für das kommende Ehejahr alles Gute, vor allem Gesundheit und Glück mit unseren Kindern..."
Regine telefoniert, darf aber ihren Ehemann in Königsbrück nicht besuchen; Gerhard tröstet sie mit einem letzten Besuch, der aber dann nicht mehr möglich ist.
Er leidet unter dem "gräßlichen Königsbrücker Aufenthalt", dem Papierkram der Aufstellungsorganisation. "Unsere Leute sind außer einer Menge Uffz., alles Obergefreite u. Gefreite, die nach einem Aufenthalt im Lazarett u. Genesungskompanie wieder z.T. gern, z.T. unwillig nach Rußland gehen... Ich mache auch sehr wenig Dienst mit ihnen..."
Am 28. August 1942 "Freitag früh 7.12. (Uhr) ging es von K.-brück weg. Durch Dresden kommen wir leider nicht, sondern über Klotzsche geht es in Richtung Görlitz. Gestern waren Muttel u. Hilde auf kurze Zeit hier..." Nachricht v. 28.8.1942
Von "weit hinter Warschau" kam am 31.8.1942 die nächste Nachricht von der Frontreise des Oberleutnants G. "Seit einem Jahr hat sich hier im Osten unter deutscher Regie manches verändert. Juden sieht man außerhalb des Ghettos überhaupt keine mehr. Viele Züge mit Ukrainern u. Russen kommen uns entgegen..." Die in die Schlacht ziehenden Truppen wurden gut verpflegt, aber der freiwillig an die Front ziehende Gerhard verspürte auch Frust und stellte wohl seinen persönlichen Einsatz in Frage, denn "Jetzt tritt der Zeitpunkt ein, wo man sich nach der Heimat sehnt. Es ist eben immer so, erst draußen merkt man wieder, wie nett es bei Frau und Kind war. Auch meine Soldaten reden oft vom Heimatschuß*18, daß sie Weihnachten zu Hause sind..."
Der Truppentransport wurde über die "nördliche Route" dirigiert Görlitz-Sagan-Bialystock-Wilna-Polozk. Der an Geografie interessierte Gerhard G. bekundete Interesse an dieser Landschaft: "Ich lernte dabei wenigstens Teile von Litauen u. Lettland kennen. Hier oben ist die Gegend viel abwechslungsreicher als in der Mitte. Manchmal glaubt man in Mecklenburg oder Pommern zu sein." Aber dann kommt die tägliche vom Krieg geprägte Realität: "Nun hat uns der russ. Schmutz und die grenzenlose Liederlichkeit wieder empfangen, vor allem auch die Partisanen, die hier dauernd die Gleise sprengen, so daß wir fast einen Tag um den anderen Aufenthalt haben u. warten müssen, bis die Strecke wieder repariert ist..." Br.v.4.9.1942

Auf dem Warschauer Bahnhof – Fahrt zur Front, Sept. 1942

Flugabwehr bei der Morgentoilette, Sagoritschi, Sept. 1942

Sept. 1942 bei Woilowo

Noch eine Nachricht gelangte nach Dresden, bevor Gerhard am 9. September 1942 in Shisdra bei seinem alten Regiment eintrifft: "Verpflegung hatten wir sehr viel, nur eintönig war das viele Speckund Schinkenessen. Die Russen in den Städten müssen diesen Winter gewaltig gehungert haben. Sie stürzen sich auf jede Speckschwarte oder Brotkrume, die wir auf den Güterbahnhöfen wegwarfen. Auf jeden Bahnhof kommen sie mit Gurken, Eiern oder Grünzeug, um dafür Brot einzutauschen." In Shistra bekam er sofort eine schwere Kompanie, bestehend aus Pionierzug, IG-Zug und PakZug.
Sein Kamerad aus Leisniger Tagen, Kreuter, nunmehr bereits Hauptmann, war der Bataillonskommandeur, dessen Einheit bei einem Entlastungsangriff nördlich von Orjol viele sowjetische Panzer abge
schossen hatte. "Kreuter selbst hat dabei einen Nervenzusammenbruch gehabt... Leider gingen dabei sehr viel unserer Leute verloren, auch viele gefangen." An einen Vormarsch ist nicht zu denken, es "herrscht Stellungskrieg... wie ihn unsere Väter im Westen [1914—1918] mitmachten..."

Nov. 1942 nördl. Shisdra mit Obltn. Schulz und Oberstabsarzt Dr. Eckardt-Möbius

Am Ende der Nachricht vom 10.9.42 fragte er seine hochschwangere Ehefrau "Wie geht es Dir und Rainer und dem Opa? Was macht unser Volker/Sieglinde?"
Der Kompaniechef Gerhard G. beauftragte Anfang Oktober einen Urlauber, einen Brief bei Regine abzugeben und im Gegenzug einige für ihn wichtige Dinge Autohandschuhe, Gummikopfkissen und Esswaren von der "Muttel" mitzubringen. Die Lage an der Front: "...Russen auf 200—1000 m gegenüber..." und die Probleme des Stellungskrieges, "...alles Land schon ausgeplündert... mit dem Organisieren ist nichts zu holen. Außerdem ist es jetzt strengstens verboten, den Bauern etwas wegzunehmen." Das schilderte er in diesem Brief, geschrieben am 12.9.1942. Dabei verschwieg er nicht die Sehnsucht "nach der sauberen Heimat" und nach der Geborgenheit bei seiner Frau und der bald vierköpfigen Familie.
Sie, Regine, wartete eigentlich immer "voll Spannung" auf Post von der Front. Es kam auch vor, dass eine Karte nur sechs Tage unterwegs war. An einem kühlen Spätsommertag, dem 16.9.1942, schrieb sie ihrem "Herzensschatz" einen längeren Brief. "Opa malt wieder fleißig. Rainer ist munter und ein richtiger kleiner Lausbub. Er hat in letzter Zeit einen ungeheuren Appetit entwickelt, ich staune über die Mengen, die er verdrücken kann. Er scheint auch in dieser Beziehung nach seinem Papa zu arten!... Er scheute sich auch nicht, auch schon viel größeren Kindern das Spielzeug wegzunehmen, gaben es diese nicht gutwillig, dann zerrte und puffte er so lange, bis diese Reißaus nahmen... Für den Empfang des ,Neuen' habe ich alles bereit... Ich habe das Gefühl, daß es ein Volker wird, denn es strampelt bald noch schlimmer als damals Rainer." Daneben monierte sie bürokratische Absonderlichkeiten: "Der Schulrat schickte 2 Fragebögen über die arische Abstammung von uns beiden... Warum müssen wir schon wieder die arische Großmutter abgeben?"
Der Kompaniechef Gerhard lag in einer fest ausgebauten Frontlinie, an einen Vormarsch ist nicht zu denken. Es entstand eine umfangreiche Korrespondenz Briefe an die Eltern, an Freunde und an Zabeltitzer Bekannte, so dass sein Gehilfe schon mal die Kuverts beschriftete. In einer knapp bemessenen Mitteilung vom 17.9.1942 schrieb Gerhard, dass "Mit einem Vormarsch in unserem Abschnitt... nicht[s] zu machen [ist]... Wir sitzen... eng in unseren Bunkern... Wenn hier einer rausgeht, müssen die 4 oder 5 anderen aufstehen oder auf... die Betten klettern... Warm ist es natürlich tüchtig in der mit Birkenstämmen abgedeckten Höhle. So warm, daß ich immer gräßliche Träume habe."
Regine dachte schon an Rainers 2. Geburtstag, erwähnte die ergatterten und selbst genähten Geschenke wie Regenumhang, Strümpfe, Lätzchen und Holzauto. Sie klagte, "...wieder kannst Du nicht dabei sein, Liebster, das ist doch ewig schade, ob es zum 3. Geburtstag werden wird? Wirklich, es ist gar kein schönes Leben, immer so allein!" Br.v.22.9.1942

Ein "Frühgottesdienst" an der Ostfront

An dem scheinbar stillen Einsatzort gab es doch militärische Aktionen der Roten Armee gegen die mit Minen und Drahthindernissen geschützten Stellungen der Wehrmacht. Partisanen und Einheiten der Roten Armee sorgten mit ihren häufigen Angriffen für Unruhe und wohl auch für Angst.
Die Gegenaktion der Wehrmacht hieß "Frühgottesdienst". Gerhard erläuterte in einem Brief vom 20.9.1942 diese militärischen Aktionen mit dem makabren Namen: "Das ist nämlich ein Spähtrupp mit einer ganzen Kompanie in ein Wäldchen, das vor unseren Stellungen liegt. Aller 3—4 Wochen passiert da eine Schweinerei, daß der Russe mit 90—100 Mann... auflauert, um Gefangene zu machen..." Gerhard hatte Glück bei seinen Einsätzen gegen die Partisanen, aber einer seiner Zugführer, der "Schwabenleutnant", galt als vermisst.

Nov. 1942, zerschossener Panzer Mark II

Die Winterkleidung ist eingetroffen, 1942

Er dachte auch an seinen zweiten Nachwuchs und meinte, Volker sei ein schöner Name und bat seine Frau um eine telegrafische Nachricht über die Ankunft von Nummer 2.
Mutter Regine hatte sich den Magen verdorben ein Klecks Eis auf dem nüchternen Magen beim Bäcker und befürchtet, dass es "unserm kleinen Mäusel schaden könnte". Es waren noch vier Wochen bis "zum freudigen Ereignis" und sie freute sich "sehr auf unseren Zuwachs!"
Ihre Tante Grete Wildenhayn besuchte sie mit dem Urlauber-Sohn Peter 39.), der 50 km südlich von "Petersburg" stationiert ist. "Ein baumlanger Kerl ist er geworden, er ist noch einen Kopf größer als Du. Rainer schloß sofort mit Peter Freundschaft... Onkel Rudolf 40.) [der Vater von Peter] ist noch in Kiew, er hofft dem nächst entlassen zu werden, da er doch schon 61 Jahre alt ist." Brief v. 25.9.42
50 km nördlich von Shisdra war das GrenadierErsatzbataillon 101 stationiert, bei dem Gerhard G. eine Kompanie kommandierte. In primitiven Erdbunkern mit einer Größe von 3 x 2 m wohnte er mit vier Soldaten. Auf abgeschälter Birkenrinde wurden Grüße in die Heimat geschickt. Der russische Herbst zeigte sich von seiner schönsten Seite. Br.v.2.10.1942
Die "gläubige" Ehefrau Regine hatte am 4.10.42 eine Rede Hermann Görings im Radio gehört und war voller Enthusiasmus ob dieser demagogischen Versprechen: "Man hätte ihm dafür gleich die Hand drücken können... Ich habe eine elende Wut auf solche Menschen, die in dieser schweren Zeit alles bekriteln, aber es selbst nie besser machen könnten. Und daß wir siegen, ist doch ganz selbstverständlich, und jeder Tag, der vergeht, bringt uns dem Frieden näher. Dieser Gedanke macht mich immer ganz froh... die Ernährungslage... soll von jetzt ab aber stetig besser werden, ist das nicht großartig, mitten im Kriege?"
Über Soldaten, die in die Heimat fahren durften, wird der Transport von Päckchen in beiden Richtungen organisiert, zudem schickte der Gefreite Brückner aus seinem Heimatort Albrechtsdorf im Isergebirge hölzerne Spielsachen an die Ehefrau seines Kompaniechefs. In der Heimat gab es kaum noch etwas zu kaufen, so dass solche "Beziehungen" dem beiderseitigen Vorteil dienlich waren.
Der Kontakt mit der Familie seiner Wirtsleute in Zabeltitz blieb bestehen. "Hilde Rentzsch schrieb mir... Ich habe ihnen einige Mark hingeschickt mit der Bitte, Dir ein Apfelpaket zu schicken.
Aber auch seine gegenwärtigen Wohnverhältnisse und die militärische Lage an diesem Frontabschnitt waren Inhalt dieser Nachricht vom 8.10.1942: "Ich wohne hier in einem fix u. fertig hergerichteten Wohnbunker von der Größe unseres Eßzimmers... Das ganze Regiment hat einen viel breiteren Abschnitt bekommen. Wir können viel weiter ins Russenland hineinschauen und sehen die Bolschewiken eifrig schanzen. Morgen bekommen sie die ersten Granaten von mir... Die Feindlage fast genau wie vorher. Vor allem in der Nacht Gewehrund MG-Feuer." Er schließt den Brief mit den Wünschen, "sei mit allen (auch Ulrich, Harald oder Volker) ferngeküßt u. gegrüßt von Deinem Gerhard."
Die Mutter Regine war im 9. Monat schwanger und froh, wenn ihr Hausbewohner bei Hausarbeiten zur Hand gingen. An einem Freitag, 9.10.1942, schrieb sie "...war ein anstrengender Tag. Wir haben den großen Teppich... geklopft, dabei haben
Straßbergers ganz rührend geholfen. Sie sind überhaupt in jeder Beziehung sehr gefällig, beim Kartoffeleinkellern helfen sie mir wieder. Wir kriegen 12 Ztr [?]... Auch Rainer wird oft von ihnen mitgenommen, er geht auch sehr gern mit."
Der knapp 2 Jahre alte Rainer mochte es gar nicht gern, wenn sein Betätigungsfeld eingeschränkt wurde. "Zuerst gibt es natürlich ein mörderisches Gebrülle, aber er tröstet sich immer sehr schnell. Wenn ich früh zu ihm sage: ,Gleich kommt der Eismann!' dann saust er in die Küche und holt die Eisschüssel... Ich freue mich sehr, wenn ich 2 von dieser Sorte habe. Hoffentlich wird es ein Junge."
Der Vater Gerhard empfahl für eilige Benachrichtigungen "vielleicht hast Du Deine schwere Stunde schon hinter Dir..." den Luftpostweg. In der gleichen Nachricht vom 11.10.1942 ließ er seinen Gefühlen freien Lauf: "Wenn ich an unseren Nachwuchs denke, so überkommt mich immer ein unbändiger Stolz auf Dich... Vor allem bekomme ich bei solchen Gedanken etwas Heimatsehnsucht... Rainer wird mich zwar nicht mehr kennen, aber das gibt sich bald... Heute zum Sonntag gab es leider keine Post. Dafür aber ein sehr ordentliches Essen: Pudding, Kartoffeln u. Gulasch. Wenn Ihr soviel Fleisch bekämet... dann ginge es Euch bestimmt besser. Ich freue mich schon auf das große Urlaubspaket, was der Führer oder Hermann 21.) in einer Rede angekündigt haben. Dann wird es einige fette Tage zu Hause geben..."
Es waren schließlich einige Zentner Kartoffeln, die Mutter Regine mit Hilfe von Hausbewohnern, transportiert mit dem Leiterwagen, als Wintervorrat einkellert. "Fast 40 RM kosten sie."
Die Schwiegereltern erschienen überraschend, um alles genau wegen Rainer zu "bereden". Die Großmutter hatte "ziemliche Angst vor unserem Wildfang", sollte sie ihn doch nach der Niederkunft betreuen. "...aber so schlimm ist er doch gar nicht. Rainer gewöhnt sich überall schnell ein, er ist doch kein verweichlichtes Muttersöhnchen", schreibt Regine am 13.10.1942 an ihren "Herzensmann".
Der Schwiegervater Hans Schirmer schrieb am 17. Oktober 1942 in einer Nachricht an Gerhard seine Gedanken auf, von denen ich einen Auszug wiedergebe: "Vor allem wünschen wir... daß... Du heil und gesund bleibst und daß dies hier nun endlich Dein letzter Kriegsgeburtstag ist. Gebe Gott, daß Rußland nun bald erledigt ist u. wir dadurch dem Frieden einen gewaltigen Schritt näher kommen. ...Ich habe ja gottlob immer zu tun und der Laden geht ganz gut... Nur dumm, die ewige Materialknappheit, die hoffentlich nicht noch schlimmer wird... Regine... geht es... unberufen recht gut, so dass wir dem kommenden Ereignis ruhig entge
gen sehen können. Rainer ist ein lieber, drolliger Kerl und schon sehr helle. Bitter empfindet er es, wenn er nicht täglich... hinaus kann. Dann räumt er eben die Wohnung um..."
Der Nachwuchs "zwickt" die Mutter "ganz verdächtig"; sie erhofft eine baldige Geburt und lässt sich schnell noch frisieren. "...während dieser Zeit war Rainer bei Frau Krauß. Er fühlt sich dort oben immer sehr wohl und Frau Krauß macht das Kinderhüten großen Spaß. Rainer folgt ihr aufs Wort, viel besser als seiner Mutti, aber das ist doch gewöhnlich so, woanders folgen die Gören immer besser als zu Hause. Als ich ihn holen wollte, amüsierte er sich gerade mit Dirks, auch hatte er ein Paar Unterhöschen von Dirks an, die fast 1 m vorguckten, er sah spaßig aus... Frau Krauß hat Rainer beigebracht zu sagen auf die Frage: ,Was macht Dein Papi?' ,Bum, bum', leider hab ichs nicht gehört. Rainer will mir immer viel helfen, alle Pfützen wischt er auf, er versucht sich schon im Abtrocknen." Br.v.22.10.1942
"Am 25. Oktober d.J. haben wir seit langer Zeit mal einen Offiziersabend; der zweite, den ich in Rußland erlebe. Da soll es allerhand leckere Sachen geben." Er freute sich auch auf das angekündigte "Führerpaket mit den nötigen Fettsachen" und träumt von "schöne[r] Wärme im sauberen Herrenzimmer... ich spiele mit Rainer und Gerlinde oder Harald Geige, Klavier und Cello... Jetzt ist noch Krieg, aber es geht alles mal vorüber, auch der längste Krieg. Hier in Rußland ist selten die Zeit [um] elegisch-träumerisch zu werden." Br.v.24.10.1942
Regine hegte ernste Überlegungen, ob sie Nr. 2, Gerlinde, Volker oder Gerd taufen lassen soll wie das "Rainerle" die Schwiegermutter will die kirchliche Feier nicht missen, obwohl sie mit der Kirche kaum etwas im Sinn hat. Regine fragt den Ehemann um seine Meinung.
Der 24. Oktober, der Geburtstag des Vaters/ Großvaters "ist ein ausnehmend schöner Tag, fast warm wie im Spätsommer. Zum Geburtstag erschienen, bereits am Morgen Onkel Reinhold, und dann Rudolf Wildenhayn 40.), der nun Sonderführer (Leutnant) der TN geworden ist, eine schneidige Uniform trägt aber froh ist, bald entlassen zu werden mit seinen 61 Jahren. Alle waren vom "Goldsohn" Rainer entzückt und freuten sich über seine "Kunststückchen".
Im gleichen Brief vom 24.10.1942 wurde eine Nachricht von Erich Schirmer erwähnt, in der er mitteilt, dass sein Sohn Ferdinand 42.) "mitten in Stalingrad steckt und viele schwere Kämpfe hinter sich hat. Valentin... ist bei der Fliegerei angenommen, aber z. Zt. wieder auf seiner Penne."
Regine schickte am 26.10.42 zwei "kleine Büchlein" aus der "letzten WHW Sammlung"*5 an die Front und berichtete beglückt von einem herrlichen Sonnentag, an dem sie an den Elbwiesen in Blasewitz spazieren ging. "Der Blick auf die Loschwitzer Berge war einzig schön. Alles sah so blank und frisch aus, selbst die Elbe spiegelte Sauberkeit wider. Menschen waren massenhaft unterwegs.
Die Elbwiesen unterhalb des Waldparks sind von der Flak in Beschlag genommen worden. Überall stehen kleine Geschütze und ringsherum werden Erdwälle aufgeworfen... Die Baracken für die Mannschaften stehen oben am Hochufer... Ob man doch mit verstärkten Luftangriffen rechnet? Es scheint doch so. In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag hatten wir hier Alarm, allerdings ohne Schießerei... Morgen wäre es nun soweit mit Gerd oder Gerlinde... Sonst aber fühle ich mich noch wohl."

39.) Wildenhayn, Peter (*1922), zuletzt Obergefr., nach Flucht aus frz. Gefangenschaft beim Minenräumen umgekommen
40.) Wildenhayn, Rudolf, Ingenieur, Vater von Peter (1881-1969),
1940-1942 freiwillig bei der Organisation Todt (TN) in Frankreich und der Sowjetunion (Kiew)
42.) Schirmer, Ferdinand (*1920 Tragnitz † 1942 Stalingrad)

Nr. 2 ist da

Regine lag im Zimmer 127 der Frauenklinik auf der Pfotenhauerstraße und schrieb mit dem Bleistift auf zwei Blatt Papier eine Nachricht an den Ehemann: "Mein geliebter Gerhard! Wie Du siehst, ist es nun geschafft! Und wieder ein Bub! Ein ganz strammer rundlicher Kerl. Er wiegt 3400 gr. u. ist 50 cm lang, also schwerer und länger als seinerzeit Rainer." Die Wehen setzten gegen 7.00 Uhr ein. Ihr Vater brachte sie per Taxi in die Klinik, Rainer wurde bei der ,Pfarrern' Fischer untergebracht und nach 17.00 Uhr wurde mit Spritzen und Ätherrausch der Knabe zur Welt gebracht. "Ich bin wirklich sehr glücklich!" gesteht die Mutter am Schluss ihres Briefes. Fliegeralarm begleitete das Ereignis, aber die Wöchnerin schlief fest während des Alarms. Br. 1.11.1941
Nr. 2 heißt Gerd, die Standesbeamtin hatte den Namen eingetragen und damit amtlich bestätigt. Die nächsten Verwandten kamen mit Blumen, Säften und Kuchen, um den dunkel behaarten Nachwuchs zu bestaunen, die Schwiegermutter etwas später, und nur auf einen Sprung, sie hatte ja den Enkel Rainer in Pflege, was Unruhe in ihren Haushalt brachte. Die glückliche Mutter freute sich, dass "der Milchladen so gut geht, es ist für Kind und Mutter das Allerbeste." Sie schilderte den Alltag in der Klinik: "Der Betrieb geht hier um � 5.00 Uhr los, um 5.00 Uhr gibts für die Kleinen die 1. Mahlzeit. Dann folgt unser Frühstück... dann kommt eine Schwester, die mit uns Wochenbettgymnastik macht... Es folgt die 2. Stillmahlzeit, dann unser Frühstück, 1 gibt es Mittag, 13.00 Uhr 3. Stillmahlzeit, 15.00 Uhr Kaffee, 17.00 Uhr 4. Stillmahlzeit, dann ist Nachtruhe." Br.v.5.11.1942
Gerhard sitzt allein, der Kompanietrupp schlief, bei einer Karbidlampe, umgeben von herumhuschenden Mäusen, im Bunker. Der Himmel ist von einer "brennenden Russenhütte" rot und seine Gedanken "schweifen" sehnsüchtig zu seiner Ehefrau Regine. "Jedesmal kommen dann die Gedanken auf den Urlaub, an den aber vor Ostern nicht zu denken ist." Er wartete täglich auf das Telegramm mit der Nachricht von der Geburt seines zweiten Sohnes. Br.v.5.11.1941
Regine konnte aufstehen und bekommt auch gleich am 7.11.42 Besuch von der Verwandtschaft. Gertrud Fahdt gratuliert mit einem Blumenstrauß und überreicht die Karten mit der Geburtsanzeige. "Dann kamen noch Tante Hilde und Onkel Walter aus Leipzig. Sie guckten nicht schlecht, als sie mich schon außer Bett sahen... Onkel Walter 43.) brachte mir ein Büchlein mit." Br.v.7.11.42
Frau Krauß, die umtriebige Hausbewohnerin aus dem 2. Stock, ließ es sich nicht nehmen, die Wöchnerin nun auch zu besuchen.
Der Vater hatte am 8.11.42 noch keine Nachricht von der Geburt seines zweiten Sohnes erhalten. Er ergeht sich in pädagogischen Fernerziehungsratschlägen: "Ich glaube, Du läßt Rainer zu viel Willen. Auf den Schreibtisch und mit den Füßen auf das Sofa oder gar auf den Tisch dürfte er in diesem Alter nicht mehr. Er muß doch jetzt verständig genug sein, daß ein Wort genügt. Wenn Du mit unserem 2. Kind genug Arbeit haben wirst, nehme ich sicher an, daß Du unserm Rainer oftmals einen Klaps geben mußt, sonst hast Du zu viel Laufereien u. Redereien... Hat er wieder was verbrochen?" Br.v.8.11.42 Das waren Reaktionen auf Briefe seiner Schwester, in denen sie Schwierigkeiten der Großmutter bei der Betreuung des Jungen verständnislos darstellt.
Rainers Geburtstagsfeier in der Sickingenstraße fiel förmlich ins Wasser, denn die Großmutter wollte bei dem "miserablen" Wetter nicht mit Rainer nach Blasewitz fahren. Tante Hilde stand nun dem Haushalt vor und übernahm alle notwendigen Aufgaben. Einige Hausbewohner und Frau Gerlach, die Nachbarin, gratulierten mit Blumenstöcken der jungen Mutter.
Am 9.11.42 erhielt der Vater "durch 3 Briefe, 2 von der Klinik u. einen Glückwunschbrief von Hilde" aktuelle Nachrichten aus der Heimat. Dazu brachte ein Urlauber ein Paket mit "allerhand leckeren Dingen".
Die Reaktionen des Vaters: "Nun zu unserem Gerd. Zunächst herzlichen Glückwunsch, daß alles glatt ging. Ich bin genauso stolz wie Du, daß es ein Junge wurde, war klar. Die schwarze Haarfarbe wird sich wohl noch geben... Ich komme einfach nicht dazu, Deinen Brief zu beenden. Gerade hatte ich Betrieb, daß ich kaum aus den Augen gucken kann. Dazu wieder einen Verwundeten." Als Briefbeilage schickte er wieder ein Stück Birkenrinde. Br.v.9.11.42
"Eine Totenstille herrschte im Bunker, als ich den Brief aufmachte, bis ich endlich freudestrahlend sagte, daß es ein Junge sei." So steht es im ersten Brief Gerhards an seine Frau. Er fährt fort: "Am nächsten Tag zur Chef-Besprechung wurde auf Deines und Gerds Wohl getrunken. Der Btl.-Kdr.*7 meinte, er beneide mich... Ob mir nun der Rotwein oder der Freudenschreck so aufs Herz gegangen war, weiß ich nicht. Jedenfalls war ich den ganzen Tag wie benebelt." Und zur Lage an seinem Frontabschnitt teilte er mit, daß die Russen noch nicht angegriffen hätten und mit Wintersachen sind sie jetzt gut versorgt worden. "Es ist bis zum Filzstiefel und Fausthandschuhen wirklich alles da. Die Heimat hat herrlich gesorgt... Wenn die Heimat in genauso guter Verfassung dasteht, wie die Front, dann ist ein glücklicher Ausgang des Krieges sicher." Br.v.11.11.42

43.) Wildenhayn, Walter (*1883 t1947), Onkel von Regine G.

Abgeschossener T34, Dez. 1942

Gerd erfreute sich an der mütterlichen Brust und hat "ganz allein sein Köpfchen gehoben." 11 Tage ist er alt und bekommt 6 Mahlzeiten am Tag.
Finanziell ging es der jungen Familie recht gut. Der Oberleutnant bekommt 293,— RM, dazu 20,— RM Kindergeld. Auf dem Postsparbuch liegen 2.750,— RM. Alle Rechnungen sind bezahlt. "Die Entbindung kostete mit allem 112,— RM... Gerd ist billiger als Rainer..." Rainer ist wieder da, der Großmutter ist es nun zuviel mit dem "Wilden". Seinen Bruder begrüßte er mit "Puzzi", zeigte ihm seine Lieblingsspielsachen, aber sehr viel mehr Beachtung widmet er seinem Bruder kaum. Br.v.12.11.1942
Mit "Sonst im Osten nichts Neues" schloss ein Brief von der Front nach Dresden. Der Vater äußert darin u. a. seine Freude über die vorwiegend unproblematische Geburt von Nr. 2, aber "...Enttäuscht war ich ja von seiner dunklen Haaru. Hautfarbe. Aber durch vieles Waschen wird es schon noch heller werden. Das wäre doch schade, wenn wir nicht 2 flachsblonde Buben hätten."
Er wünschte sich ein Großfoto der Mutter mit den beiden Kindern. Da könnte man bei der renommierten Fotografin Grete Back schon mal 15,— RM! ausgeben. Er erwartete vor Ostern 1943 keinen Fronturlaub, dazu war die militärische Lage zu sehr angespannt. Br.v.18.11.1942
Der mitunter sentimentale Vater machte sich in dieser Zeit eifrig ans Briefeschreiben. Er kündigte ein Paket an, der Überbringer ist sein Kompanietruppführer, "die Unterhosen sind zwar beide gewaschen, aber in einen deutschen Wäscheschrank passen sie nicht. Eine
Russenmatja hat eben eine andere Vorstellung von weißer Wäsche."
Dann verteidigt er die Zurückhaltung seiner Mutter bei der Betreuung von Sohn Rainer: "Da kannst Du aber erst ermessen, was unsere Mutter im letzten Krieg geleistet hatte. Sie war ja vollkommen auf sich gestellt, und ging dazu noch den ganzen Tag in die Munitionsfabrik arbeiten. Ich staune nur, daß sie nicht eher krank wurde. In diesem Krieg ist es bei der Masse fremder Arbeiter garnicht nötig, daß unsere Mütter mit kleinen Kindern in die Fabriken gehen. Ganz abgesehen von der besseren Verpflegung."
Zur militärischen Situation schrieb er, daß er "so nebenbei... einen Feuerüberfall auf den Russenbunker mit der Pak durchführen, vorbereiten und besprechen" musste. "Erst gegen 17 h bei Nudeln und Gulasch fand ich etwas Ruhe. Jetzt endlich bei den Klängen von Lilli Marleen 27.) will ich den Brief beenden." Br.v.22.11.1942
Am 29.11.1942 ist der vierte Advent. Mutter Regine schmückte das Wohnzimmer. "Ich will meine kleinen Engel wieder auf dem Uhrentisch aufbauen, das macht mir immer großen Spaß. Leider gibt es nur ganz wenig Kerzen, und diese wenigen möchte ich mir für Weihnachten aufsparen. Rainer wird schöne Luchsaugen machen, wenn er die Engelein entdeckt."
Der Bruder des Großvaters, Erich Schirmer 22.) schrieb an seinen Bruder, "daß sein Ältester, Ferdinand, bei Stalingrad gefallen ist, am 26.10... Er war ein hübscher strammer Kerl... Onkel Erich schrieb, daß Ferdi gleich tot gewesen ist, also keine Schmerzen auszustehen hatte... Es tut uns sehr leid, daß gerade der beste von den drei Jungen gefallen ist."
Fronturlauber, die in Dresden wohnten, transportierten in beiden Richtungen Pakete, Grüße und Nachrichten. Die Mutter hatte ein Paket gemischten Inhalts Toilettenseife, Kekse mit Mottenpulvergeschmack, ein dreckiges russisches Buch und "katergraue Unterhosen" erhalten. Im Dankesbrief vom 1.12.1942 berichtete sie von den Kindern. "Aber so dunkel ist Gerd gar nicht mehr. Er hat doch ganz blaue Augen... Dazu hellbraune Haare, die glänzen wie Gold, wenn die Sonne darauf scheint. Er wird mit der Zeit schon heller werden... Ich schrieb Dir noch gar nicht, daß Gerd zur selben Zeit wie Rainer geboren wurde, genau 17.50 Uhr, ist das nicht komisch?"
Über ihren Vater konnte sie berichten, daß er fleißig malt, "wieder einige Bilder verkauft... Das Geschäft geht also ganz gut, er könnte einen Gehilfen gebrauchen."
Gerhard G., der zweifache Vater, kommandierte zwei Kompanien und musste mit seinen Soldaten häufig die Stellung wechseln. Die zugigen Bunker bildeten einen nur unzureichenden Schutz vor dem eisigen Ostwind. Die Verpflegung war ausreichend, "Bratkartoffeln, Röstbrot mit Butter und Wurst".
In der Frontmisere, der Vater verdrängte sentimentale Gedanken, "sonst wird man ganz melancholisch hier im roten Rußland", plante er schon die musikalische Erziehung seiner Kinder. "Eins von unseren Kindern muß Geige lernen! Ich denke jetzt manchmal nach, wie herrlich es dann zu Hause sein wird, wenn ich mit unseren Kindern musizieren werde." Br.v.3.12.1942
Die Mutter hat Angst, dass sie wieder in die Klinik muss wie nach der Geburt von Rainer, wo sie an einer entzündeten Brust operiert werden musste. Fieber und eine allgemeine Körperschwäche setzen ihr so zu, dass sie auf fremde Hilfe angewiesen ist. "Opa mußte Rainer füttern, ins Bett bringen, einkaufen usw. Frau Heßberg hat gekocht und aufgewaschen, da war ich sehr froh. Rainer machte dauernd dummes Zeug... dazu brüllte Gerd, da er nicht satt wurde... schon am nächsten Tag fühlte ich mich wieder besser." Aber schon Tage später buk sie zwei Stollen, "sie sind sehr schön geraten. Rainer wollte natürlich gleich kosten, das kleine Leckermaul." Br.v.9.12.1942
Am 11. Dezember 1942 schickte die Mutter die ersten Fotografien von Gerd an die Front mit der Bemerkung, dass Nr. 2 "in Wirklichkeit viel niedlicher" aussieht. "Denke Dir große blaue Augen, eine kleine Stupsnase... kurz, alles äußerst wohlgeformt. Die Kopfform ist ganz nordisch, schmal im Hinterkopf..." Sohn Rainer "macht täglich Fortschritte im Sprechen. Er versucht, jedes Wort nachzusprechen... Am liebsten geht er Milch holen... Er läßt sich selbst Milch eingießen, und dann geht er wieder vorsichtig nach Hause... Auf Kartoffeln ist er sehr versessen, er läßt seinen Milchbrei stehen, wenn er nur eine Kartoffel bekommt." Und Regine erwähnte die kommerziell-künstlerischen Erfolge des Großvaters, der auf der Weihnachtsausstellung des Kunstvereins ausstellte und sein Bild Blick auf den Neumarkt im Schnee gleich mehrfach verkaufen konnte. "Er hat überhaupt sehr viel verkauft, das ist doch wenigstens mal was Erfreuliches."
Zwei Wochen vor dem Weihnachtsfest schrieb der Ehemann, dass die Divisionsbäckerei nach längerem Abzug von Butter und Margarine für jeden Soldaten einen Stollen backen wird, denn mit Urlaub konnte er nicht rechnen, und er wünschte seiner erweiterten Familie mit dem Schwiegervater "ein recht harmonisches Weihnachtsfest."
Das 4. Kriegsjahr bescherte der Heimat eine "Weihnachtskarte, darauf gibt es zusätzlich Fleisch, Butter,
Mehl, Zucker, Süßwaren und Bohnenkaffee..." schrieb die Mutter am 15.12.1942 an den Ehemann. Die Entwicklung der beiden Jungen machte ihr Freude, richtete sie das wohl auch auf bei diesem unsäglichen Warten auf den Mann. Über Gerd: "Die Haare können doch so bleiben... Warum muß er auch blond sein? Die Hauptsache, er hat blaue Augen!" Über Rainer: "Rainer ist sehr verfressen. Alles verschwindet, was nur irgend eßbar ist. Sogar Seife und Kerzenreste hat er angeknabbert. Er spielt am liebsten mit Kochtöpfen, dabei muß es aber ziemlich knallen, wehe, wenn ich mal den Küchenschrank offen lasse!"

22.) Erich Schirmer (1881-1945), Kaufmann in Chemnitz. Patenonkel von Gerd G.

Weihnachten 1942 an der Ostfront aus den Br.v.25.12., 27.12. und 31.12.1942

Das Tagebuch vermerkte für diesen, der Deutschen liebsten Tag nur lapidar: "Frühgottesdienst*8 (Handtuchwald), nichts Neues."
"Dieses Weihnachten war für mich das schönste, das ich je erleben konnte. Noch kein Weihnachtsfest hat mich so innerlich gepackt. Es kann höchstens noch eine Steigerung in einem Heiligen Abend mit Dir und unseren Kindern im eigenen Heim erfahren... Am 24.12. ging ich mit Spieß und Rechnungsführer mit vollgeladenen 2 spännigen Panjeschlitten zu den einzelnen Bunkern. Meine 3 Züge liegen auf fast 4 km Frontlänge verteilt, so daß ich erst 11 Uhr nachts überall mit dem Bescheren fertig war und dann selbst geruhsam Weihnachten feiern konnte.
Zunächst baute ich in jedem Bunker die Geschenke für die Besatzung (6—10 Mann)... auf... Alle kamen wie Kinder mit strahlenden Augen herein und bestaunten die reichlichen Geschenke. Jeder bekam: 1 Flasche Cognac, 57 Zigaretten, 4 Zigarren, Tabak, 2—3 Tafeln Schokolade, 700 gr. Kekse, 1 Stollen von 2—3 Pfund, 1 Liter Rotwein, Trinkbranntwein, ein Päckchen vom Btl. mit verschiedenen Gebrauchsgegenständen, Drops, Rosinen, Lichte. Die Heimat hat uns wirklich herrlich beschenkt. Ich hielt dann jedesmal eine kurze Rede und gratulierte jeden zum Abschluß... So ging es von Stand zu Stand. Währenddessen zischten die Leuchtspurgeschosse vom Russen herüber und unsere Grabenposten antworteten wieder. Gerade dieses Gewehrfeuer gab der Heiligen Nacht für die Front die richtige Weihe.
Die Weihnachtstage haben wir hier wie fast zu Haus verbracht. Sogar den verdorbenen Magen vom vielen Durcheinanderessen haben etliche von uns. Unser Koch ist nämlich ausgezeichnet. Er kochte heute Sauerbraten... mit Klößen, Pudding, Rotwein..."

Weihnachten 1942

"Wir hatten heute [27.12.) einen schweren Sonntag. Mit Btl.-Stärke griff er wieder mal an, wurde aber am Draht glänzend zusammengeschossen. 40—50 tote Russen lagen bei 20° Kälte vor unseren Stacheldrahthinder nissen. 11 Gefangene brachten wir ein... Tragisch nur, daß durch einen Zufallstreffer Brückner (der das Spielzeug schickte) tödlich und ein weiterer Mann meiner Komp. getroffen wurden. Mir graut schon vor dem Brief, den ich der armen Frau Brückner schreiben muß.
Ich selbst hatte bei dem Arifeuer*6 Glück. Ein Volltreffer traf meinen Beobachtungsbunker, schlug aber nicht durch..."
Inmitten dieses grausamen gegenseitigen Mordens kreisten die Gedanken des Kompaniechefs auch um seine Familie. "Was sagt denn Rainer zu seinem Bruder?... Wenn Rainer sehr verfressen ist, dann lasse nur nicht Giftiges herumstehen, Kopierstifte usw.! ... 2 solche Rangen machen eine Menge Arbeit. Aber immer noch besser als 15—20 Gören Rechenunterricht geben! Einst wirst Du es besser haben. Auch der längste Krieg nimmt mal ein Ende! ...und es folgt eine Zeit mit allen Genüssen des Lebens, um mit Kerns Rudolf zu sprechen."
Über die Bilderverkäufe seines Schwiegervaters äußerte er sich despektierlich: "Das Bildergeschäft von Opa floriert? Sage ihm nur, er solle die nackte Batseba und ähnliche Judengeschichten verkaufen. Nach dem Krieg kauft niemand so etwas."
Die Feldpost brauchte immer noch 10 Tage zur Beförderung von Briefen, Päckchen u.ä., so dass Gerhard am 5.1.1943 klagt, er bekäme zu wenig und zu selten Post aus der Heimat. Von seiner in argen Nöten steckenden Schwester sowieso nicht, von der Mutter sehr selten. Er beantwortete den Brief an seine Ehefrau mit Ratschlägen. "Geht denn dein Vater Dir nicht etwas zur Hand. Mit Rainer könnte er doch wenigstens etwas ausgehen! Dabei kann er ihm etwas Hamburger Platt beibringen. Daß Rainer nicht allein spielen will, ist doch eine ganz neue Tour, die Du ihm unbedingt abgewöhnen mußt. Holt ihn denn nicht Muttel manchmal ab für einige Tage?"
Er hoffte im neuen Jahr auf Urlaub und dachte, daß er Anfang März nach Hause fahren darf. Vorerst musste er als Oberleutnant das Bataillon vertretungsweise führen, "habe also eine Dienststelle inne, wie ich sie noch nie hatte. Viel Ehre natürlich, aber andererseits viel neue Arbeit und viel mehr Verantwortung. Es sind immerhin einige hundert Männer, deren Schicksal ich in der Hand habe."
Er hatte nun einen "großen Raum zum Wohnen und ein eignes warmes Schlafzimmer" mit elektrischem Licht. Er empfindet das für "russische Verhältnisse wirklich plutokratenhaft." Br.v.13.1.1943
Mit den Gedanken war er trotz der vielfältigen Aufgaben bei Weib und Kind. "Trinkt denn Gerd fleißig von Dir? Wenn ich Ende März nach Hause komme, ist er wenigstens etwas kräftiger und kann von mir mal angefaßt werden. Wem sieht er denn ähnlich? Unser Großer kann kein ,r' aussprechen! Zu schade, daß ich die ersten Sprechversuche nicht mit erlebe. Ihm muß es ja fast so gehen, wie seinem Papi, wenn er russisch radebrecht. Was er nicht sprechen kann, muß man ihm vorsingen."
Br. vom 14.1.1943
Ziemlich resigniert schrieb die Mutter am 18.1.1943 an Gerhard: "Nun ist auch mein 4. Kriegsgeburtstag überstanden... Zum Abendbrot gab es noch eine Überraschung: Fliegeralarm. Schon am Tage vorher hatten wir um dieselbe Zeit Alarm, von abends Viertel 9 — Halb 10 ... wir sind oben geblieben, unser Keller ist schrecklich kalt. Geschossen hat es ziemlich toll, vielleicht sind einzelne Flieger in Dresdens Nähe gekommen, in Berlin waren sie hauptsächlich, diese elenden Lumpen... Bei Gerd ist alles in Ordnung... Rainer wird immer höflicher,... es betrübt mich nur, daß er es so sächsisch ausspricht..."
Schon längere Zeit gab es bei Gerhard Überlegungen, ob er nicht doch eine militärische Laufbahn einschlagen sollte. Er bezog seine Ehefrau in diese Überlegungen ein und Regine schrieb ihm am 26.1.43 ihre Meinung. "Jedenfalls bin ich sehr stolz auf meinen tüchtigen Mann... Mir ist natürlich ein Lehrer zehnmal lieber. Vor allem denke ich schon mit Sehnsucht an eine eigne gemütliche Wohnung auf dem Lande [in Zabeltitz?]... ich habe Dir nur gesagt, wie ich mir das denke..."
In den Nächten sanken die Temperaturen bis unter —30° C, tagsüber waren es bis —20° C; Gerhards Bataillon hauste in Erdbunkern und rückte ab und zu zur Partisanenbekämpfung aus oder wehrte massive Angriffe der zahlenmäßig überlegen Sowjettruppen ab. Militärische Erfolge gab es kaum bei dem sich abzeichnenden Stalingrad-Debakel.
Die Umgruppierung der Wehrmachtseinheiten wurde als "Sicherungsmaßnahme" bezeichnet.
Über Karatschew Orel fuhr die 8. Kompanie nach Bogoridzkoje und nahm dort in Bauernhäusern Quartier. "Es ist nicht weit von der Stadt, in der ich vor einem Jahr ins Lazarett kam."
In seinem Tagebuch notierte der Kompaniechef G. am 29.1.1943 folgendes: "Wir sind die Abschirmung der rechten Flanke unserer Armee, um den Woronesh-Durchbruch zu sichern."
Und dann eine verständnislose Milieuschilderung. "...ein in jahrelang nicht gewaschenen Kittel und Rock gekleidetes 20jähriges Russenfräulein macht mir in der verdreckten Küche warmes Wasser. Ihre Mutter, ebenfalls vollkommen verdreckt, liegt seit gestern auf der Ofenbank mit angezogenen Knien. Gewaschen haben sich weder die Evakuierten, die im Vorraum wohnen, noch die drei Weiber... [sie] essen täglich nur Kartoffeln, auch die 1-2jährigen Kinder..."
Gleichzeitig ging ein Brief an Regine ab. "Froh sind wir alle, daß der Grabenkrieg für einige Zeit für uns zu Ende ist. Es ist doch angenehmer in Dörfern zu hausen... Vorgestern wurden 13 russ. Bomber vor unseren Augen abgeschossen. Das erhöht jedesmal gewaltig die Stimmung, die ohnehin nach der herrlichen Göringrede schon sehr gut ist. Was sagt denn die Heimat dazu? Wie wirkt sich denn das neue Gesetz des Arbeitseinsatzes aus? Es müssen doch in unserer Gegend so manche Herrschaften arbeiten, wahrscheinlich zum ersten Mal in ihrem Leben. Oder gibt es dabei wieder Vitamin B? Berichte mir bitte bei Gelegenheit... Macht doch die restlose Durchführung dieses Gedankens gewaltige Arbeitsreserven frei... Sonst bin ich... gesund und voller Siegeszuversicht..." Br.v.30.1.1943

Am 8.2.1943 wurde Gerhard G. durch einen Granatsplitter verwundet.

Die folgenden Notizen machte Gerhard G. in sein Tagebuch Briefe aus dieser Zeit sind nicht vorhanden.

31.1.43 Bogorodizkoje. Wenig Kälte, Schnee. Schlittenfahrt nach Beresowka und Preobraschenskoje... Mit Spannung, Stolz und Wehleid hören wir im Radio vom Heldenkampf der 6. Armee. Zur Kompanieführerbesprechung hörten wir etwas zur großen Lage. Bei Woronesh zwei Panzerkeile durchgebrochen. Richtung auf Kursk und Orel. Wir, die 4. Panzerdivision und die Leibstandarte, nach hinten zur Abriegelung.
1.2.43 Bogorodizkoje. Dunia, Marussia und eine Balalaika-Spielerin singen und tanzen uns vor.
2.2.43 Bogorodizkoje. Unsere Panjeschlitten, die im Eisenbahnmarsch verlegt wurden... kommen heran... Am Abend großer Fitz: überstürzter Abmarsch... Ein Befehl jagt den anderen. Alles überflüssiges Gepäck bleibt zurück.
3.2.43 Bogorodizkoje... ein Oberstltn. von Harnstein...
erzählt etwas über die große Lage: Vorstoß der Russen auf Kursk. Unsere Stuka bombardieren die vorstoßenden Russenhaufen... Abends Befehl mot. Abmarsch gegen 1.00 Uhr. Nähmaschine wirft über
Preobraschenskojer Pferdefarm gegen 23.00 h Bomben... Einige Panjehütten und drei Panjes werden beschädigt bzw. verwundet. Gegen 12.00 Uhr Befehl, es bleibt alles da... Wir kommen erst gegen früh zum Schlafen... Eigenartiger Sonnenaufgang.
4.2.43 Bogorodizkoje. Heftiger Ostwind fegt über die kahlen Flächen. —35° bis —40° C Kälte. LKW der Division verladen uns grüppchenweise nach Osten... Gegen Mittag rollen wir. Mein LKW hat Motorenschaden. Wir werden geschleppt. In Chaustowo. Eine Baschli(Rückzugs)-Einheit soll von uns aufgehalten werden.
5.2.43 In Beschenowka treffe ich Flinzer... Gewaltige Panikstimmung bei den zurückgehenden 348. Ich organisiere Spritzuteilung und lade IG Munition von dem großen Diesel ab... Gerade als ich hinkomme, wird ein Russenangriff durch Ari abgeschmiert*9. Fortwährendes Bombardement unserer Stuka. Aber auch die Russenbomber beaasen uns.
Nachricht: Major Amman, Regimentsführer, und sein Adjudant Flinzer durch Bombenvolltreffer gefallen... Ich übernehme Btl.-Führung... Überall brennende Dörfer, die schaurig die Dunkelheit erhellen.
6.2.43 Hptm. Krämer rollt an, gerade als Russen in Bataillonsstärke... angreifen. Ich setze die 2. und die 6. I 52 links neben Wegerlowska auf Nebchatow an, um einen Durchbruch zu verhindern... Abends wird alte Stellung eingenommen. Russe hat Schlucht verlassen. Abends ist die Lage wieder hergestellt.
7.2.43 Der Tag verläuft ruhig. Ariund Ratschbummfeuer*10 auf unser Dorf. Wir suchen neuen Gefechtsstand... traurige Nachricht: Uffz. Freytag und Obgfr. Gebrecht verkohlt oder angekohlt... Ich soll sofort das Btl. links von uns übernehmen. Sein Kommandant, Mj. Backe, ist durch einen Splitter am Kopf verletzt... Ein tüchtiger Feldwebel führt... das Btl. Backe. Die Kompaniestärke sehr schwach, 40-60 Mann. Stimmung trotzdem gut.
8.2.43 Shalomatowka. Früh befehle ich Verlegung des Gefechtsstandes und gehe zu den einzelnen Kompanieführern. Schweres Granatwerferfeuer am Südostausgang. Kirchner weist mich ein. Bei Lt. Kühn kurze Besprechung. Dann im Gelände Einblick. Dabei erwischt es uns beide durch ein und dieselbe Grantwerfergranate. Wir werden im Gefechtsstand verbunden... ich am Oberarm. Kleine Ohnmacht, nachdem ich dem Regimentsführer gemeldet habe, Mj. Bell. Dann bringt uns Dietze im Pferdeschlitten nach Beschanowka... Mit Sanka nach Sinojewska. Dort Operation durch hervorragenden Chirurgen, Oberarzt Dr. Goldmann. Mein Splitter ist so groß wie drei Weizenkörner und wird an der Gegenseite bei örtlicher Betäubung rausgeschnitten. Am laufenden Band kommen Leichtverwundete und Erfrierungen herein.
9.2.43 Sinojewska. Ein Bild des Jammers. Alle Verwundeten erzählen ihre Erlebnisse... Gute Verpflegung. Zwieback, Schokolade, Suppe. Dr. Goldmann spricht vom Räumen von Sinojewska... Wir fahren stückweise mit Schlitten... bis Prokowskoje zum Hauptverbandsplatz der 299. Division. Ein sauberes Zimmer in einem ehemaligen russischen Krankenhaus nimmt uns auf. Gerade als wir uns splitternackt ausgezogen haben, damit die Klamotten entlaust werden können, kommt der Abmarschbefehl nach Smijewska...
10.2.43 Viele über und über mit Blut beschmierte Soldaten... Im Pendelwagen treffe ich Uffz. Freytag, der in Beschanowka angekohlt worden ist. Er hat nur geborgte Klamotten und läuft wie halb blind ohne Brille herum. Nachts vom Oreler Bahnhof zum Feldlazarett 293, eine russische Universität mit 4 m hohen Räumen... Russische Mädchen wecken uns früh.
11.2.43 Orel... Wir sollen mit JUs nach Smolensk kommen und empfangen dafür Marschverpflegung. Leider wird daraus nichts... Gegen 14.00 Uhr werden wir in einen Omnibus verfrachtet... Die Lazarette schicken alles weg, um für einen größeren Anfall frei zu sein. Halb 3 Uhr fährt der Zug... ab. Er ist eigentlich ein Urlauberzug. Urlaub ist seit Anfang Januar gesperrt. In Karatschew Bombenwürfe und Tieffliegerangriffe.
12.2.43 Brjansk. Ein Bomber wird vor unseren Augen von unserer Zugflak beschossen. Er schießt wieder, verfolgt den Zug und setzt eine Bombe in ein Haus neben der Lok... Der Lokführer wird am Kopf verwundet, sonst geschieht nichts... Der Zugwachen-Hauptmann... berichtet uns, er habe 400 Verwundete drin und keinen Sanitätsdienstgrad oder Arzt. Er hat schon 5 Gleissprengungen bei Urlauberzügen mitgemacht. Auf den Anruf eines Nachschublümmels*11 von der Bahn, der das Lazarett in Brjansk alarmierte, erscheinen über 10 LKW, um den angeblich vollkommen zerstörten Lazarettzug auszuladen... Leutnant Krätz... erzählt interessante Erlebnisse vom Rückmarsch der 45. Grenadier-Division. Zum Teil mußten Geschütze und V.-Lager* 21 gesprengt werden. Der kämpfende Grenadier, ohne alles nur mit Brotbeutel und Gewehr hat unmenschliches geleistet. Die Russen hatten, auch wie bei uns, das 50 bis
100fache an Ausfällen. Im Schritttempo wird das Partisanengebiet durchfahren.
13.2.43 Gomel-Bobrius-Ost. Als Partisanenschutz sind die Bahnstrecken links und rechts im Abstand von 200—300 m abgeholzt; in Brjansk steht der Urlauberzug auf dem anderen Gleis. Es soll einer der letzten sein, die aus dem Reich kommen.
14.2.43 Wenig Schnee, in Minsk sogar Tauwetter.
In Litauen wieder rechtwinkl. Steinund Ziegelhäuser. Europa beginnt.
Nachher Streitgespräch zwischen dem MeckerLeutnant Lüdecke u. dem Idealisten und dem alten Pg. Krätz über Vitamin B... Krätz kämpft wie ich gegen die Lauheit auf allen Gebieten.
In Wirrballen (lit.-ostpreuß. Grenze) werden wir entlaust, gewaschen u. neu verbunden. Mit Freude höre ich, daß der Lazarettzug nach Dresden gehen soll.
In meinem 1. Klasse-Wagen finde ich mit Krätz u. einem Lt. seines Rgts. Platz. In Eykunen gibt es Kuchen. Soldbücher werden zur Eintragung der Führerpakete*12 eingesammelt... Anstelle des Führerpakets gibt es einen Briefumschlag mit 10 Mark Inhalt u. Lebensmittelkarten. Dann rollt der 1. Klasse-Wagen ohne Erschütterungen nach Thorn-Posen.
15.2.43 Guben-Spremberg-Ortrand-Großenhain. Sehnsüchtig schaue ich nach Zabeltitz hinüber. In Dresden N Ausladung. In Omnibussen nach der Krankensammelstelle in der Moltkestr. Dort Papa angerufen. Anschließend kommt Muttel und nimmt mir den Bekleidungsbeutel ab. Regine wird benachrichtigt. Ich rufe Krauß an, habe jedoch keine Verbindung. Mir kommt alles wie im Traum vor, daß ich gerade nach sieben Tagen auf der Moltkestr. landen mußte... ich komme als ambulanter Fall gleich zum Ersatztruppenteil 514... Abends klettere ich über und gehe zu den Eltern, wo ich bis 22.00 Uhr berichte und dann selig auf der Couch in der Stube schlafe.
16.2.43... nach der Stammkompanie 514 überwiesen... Mittag 12.00 Uhr treffe ich bei Weib und Kind nach halbjähriger Trennung ein.

Damit enden die handschriftlichen Eintragungen von Gerhard G. in seinem Tagebuch.
Sein Schwiegervater notiert in seinen Aufzeichnungen
16.2.43 Gerhard zurück aus Rußland. Granatsplitter im Oberarm. 3.4.43 Gerhard wieder ins Feld. Osten

Mit Bursche Kämpf, Mai 1943

Mai 1943, Brjansk

Obltn. Grießbach, Mai 1943

Die letzte Frontfahrt des Oberleutnants Gerhard Grießbach

"Nur" acht Tage dauerte die Eisenbahnfahrt über Brest-Minsk-Smolensk zum alten Truppenteil. Wieder hatte sich Gerhard G. freiwillig an die Ostfront ge meldet.
Als einen guten Willkommensgruß empfand er die Verleihung des EK I*32. Seine alte Kompanie war fast aufgerieben worden. "Ich habe mit der Neuaufstellung meiner Komp. so viel zu tun, daß jetzt wenig Zeit für Dich übrig bleibt. Ist denn der Trennungsschmerz jetzt überwunden? Wenn mich die Flöhe und Läuse jetzt manchmal gar zu sehr quälen, dann verstehe ich es oft nicht, daß ich mich freiwillig ins Wanzenland meldete. Dafür hat aber diesmal die Landschaft großen Reiz. Wir liegen in einem Dorf an einem Flüßchen. Ich wohne hoch oben, 50 m über der Talsohle und habe einen schönen Rundblick... Vorläufig liegt in den Schluchten noch Schnee. Trotzdem laufen viele Russen schon barfuß." Br.v.16.4.1943
In den letzten vier Monaten seines Lebens schrieb Gerhard G. noch 28 Briefe und Karten an sein "gelieb tes Frauchen" nach Dresden. Die Briefe der Ehefrau sind nicht aufbewahrt worden, so dass ich nur auf die Aussagen des Vaters zurückgreifen konnte.
Katzenjammer: Sehnen nach einer sauberen Geborgenheit bei seinem "süßen Frauchen" und den Kindern beherrschten den vielbeschäftigten und eifrigen Kompaniechef über viele Wochen. Er beklagte in einem kurzen Brief, eine Woche nach seiner Ankunft, dass "meine Sehnsucht nach Dir viel größer ist als je in Rußland."
Er musste sich einrichten, der russische Frühling mildert trübe Gedanken. "Die Felder bekommen einen zarten grünen Hauch. Das erste Sonnenbad habe ich halbnackt genossen. Aber Du hättest meinen Körper sehen sollen. Von Flohstichen bedeckt, als hätte ich die Pocken gehabt... Die Lage meiner Dienstwohnung ist recht ideal. Ein kleines Flüßchen, die Optucha, ein Nebenfluß der Oka, fließt in großem Bogen durch das Tal... nur jeglicher Wald fehlt... Die Verpflegung ist sehr reichlich, da sich die Kp. beim Zurückgehen eine Menge Kühe mitgenommen hat. Ab u. zu wird eine geschlachtet. Milch gibt es jeden Morgen..." Br.v.21.4.1943
Erst am 27. April erhielt Gerhard G. einen ausführlichen Brief seiner Ehefrau. Er antwortete am gleichen Tag. "Wir liegen noch in Ruhe und bereiten uns auf die kommenden Kämpfe vor. Der einzige Ruhestörer ist das Ungeziefer. Vor allem die Flöhe. Ich habe deshalb beschlossen, heute Nacht im Zelt zu schlafen, zumal es sehr warm draußen ist. Vor einigen Tagen haben wir mit Handgranaten Fische gefangen. Es war ein Hochgenuß, diese Kerle zu essen."
Er erkundigte sich nach der Gesundheit seiner Kinder und der Arbeit des Pflichtjahrmädchens*20 Elfriede. Bei den Grüßen klingt die Sehnsucht "gewaltig" mit an.
Die Urlaubstage in Dresden blieben ohne Folgen für Regine. Ein "Volker" ist nicht im Entstehen, der Vater erhält am 24. April die entsprechende Mitteilung mit dem Bericht "vom Maler".
Die 9. Kompanie ist nun aufgefüllt mit 19—20jährigen Abiturienten und Schülern aus dem Raum Hannover, aus Westfalen und dem Rheinland. "Als Melder habe ich einen jungen hübschen Burschen, der in Kiew als Reichsdeutscher geboren wurde und vollkommen ukrainisch spricht... Er leistet der Kp. große Dienste, in dem er uns in Ruhezeiten alles Eßbare verschafft und beim Einsatz die Gefangenen und Überläufer vernimmt." Br.v.3.5.1943
Der am 1. Mai 1943 zum Generalmajor beförderte Karl-Wilhelm von Schlieben 26.) war nun der Kommandeur der 18. Panzerdivision. "Gestern hatte ich eine große Übung vor unserem General... Er ist ein Sachse, der so spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist."
Das Kriegsgeschehen war allgegenwärtig, und er beobachtete die Luftschlacht über Orel, von der der Wehrmachtbericht 53 Abschüsse sowjetischer Maschinen meldete. Einige Verbände der 18. Panzerdivision, darunter auch Gerhards Kompanie, waren nach Nordwesten verlegt worden, "zu neuen Aufgaben... Ich kenne diese Gegend schon von der Kesselschlacht vor 2 Jahren." Die deutschen Verbände drehten sich fast im Kreise; es ging eigentlich nur noch zurück.
Aber das wurde in den Briefen nicht angesprochen; er tröstete seine zunehmend verunsicherte Frau. "Aber mein Liebstes, es geht alles vorüber, soweit wird die Zeit nicht sein..., wo ich wieder... küssen kann."Br.v.13.5.1943
Wir führen jetzt einen lustigen Buschkrieg "Nach unserer Verlegung liegen wir nun immer noch in Ruhe. Lange wird es aber nicht dauern. Wir liegen im Partisanengebiet. Es gibt also eine Abwechslung in der Kampfführung. Dies ist auch nicht übel. Das Gebiet, in dem wir liegen, untersteht einem ehem. russ. Ing., jetzt General in deutschen Diensten, der eine Art russ. Fürstentum errichtet hat. Er hat russ. Polizei (Bauern, Arbeiter mit russ. Gewehren, meist ohne Uniform, die zwar wüst aussieht, aber den Partisanen tüchtig zusetzt)...
Wir führen jetzt einen Buschkrieg. Auszuhalten ist es auf jeden Fall. Ich sitze hier im Kiefernwald mit der Kp. um ein Lagerfeuer. Romantisch, aber ein bißchen kalt... Regen, Regenwetter, fünf Minuten Sonne und wieder Regen... Ich habe zum Glück einen geräumigen Wagen als Chef-Wagen... Von unserer Tätigkeit stand im Wehrmachtsbericht vom 21. oder 22.5. zu lesen." Am 28.5.43 "krauchen" die Panzergrenadiere immer noch im "Brjansker Wald" herum und der unerbittliche Kampf gegen die Partisanen dauerte bis in die 1. Juniwoche 1943. Am 30.5.43, ein Sonntag, hatte Gerhard Zeit zu einem etwas ausführlicheren Bericht. "Wir sitzen immer noch in den Wäldern. Ich hatte fast keine Verluste. 1 Uffz.*13 leicht verwundet, 1 Pz.-Gren.*14 tot. Für uns als alte Krieger ist es mal eine Abwechslung, dieser Buschkrieg. Jedenfalls interessanter als der Grabenkrieg. Über unseren Buschkrieg kann ich schriftlich nichts berichten. Das erfährst Du dann von Mund zu Mund." Er beauftragt seinen Burschen, den Gefreiten Rolf Dietze aus Ruppertsgrün, seiner Ehefrau während seines Heimaturlaubs Auskunft über seine Einsatzorte schriftlich mitzuteilen.
Rolf Dietze schreibt u.a. in seinem Brief: "Wir hatten Anfang Mai, so um den 7. oder 8. herum einen größeren Umzug aus der Gegend südlich von Orel nach der Stadt Karatschew, die ca. 100 km süd-westl. von Orel liegt. Von Karatschew aus fuhren wir noch mit unseren Autos in derselben Richtung weiter. Kamen dann in ein Dorf. Der Einsatz galt gegen Partisanen. Es war ein schneller Aufmarsch in die großen Wälder, die in der Gegend von Brjansk liegen..." Ergreifend die letzten Sätze im Brief. "In 1 Stunde geht es nun bei mir ab. Die Stimmung ist entsprechend. Mein Bub will durchaus mit nach Rußland. Na, wenn der Krieg nur einmal ein Ende hätte. Das wäre eine Erlösung."
Natürlich wusste der Oberleutnant, dass in der Heimat große Knappheit herrscht. Er wollte über seinen Fahrer, der Gemüsebauer und Plantagenpächter ist, Obst für seine Familie organisieren.
Er gab wiederholt Regine Ratschläge für die Kindererziehung; was konnte er machen, er ist ja immerfort im Krieg. Am 1. Juni 1943 riet er, mit Rainer zu einem Blasenspezialisten zu gehen, damit diese "Ungelegenheit" abgestellt werden kann. Gleichzeitig freute er sich über "Rainers Streiche", aber zu "Rainers Fluchtversuchen" äußert er Bedenken. "Es kann auch mal schief gehen. Gib ihm nur mal einen Klaps, wenn er wieder mal ausreißt. Seinen Namen u. Adresse kann er sicher noch nicht sagen. Was erzählt er denn von mir?"
Der Partisanenkrieg war vorerst für Gerhards Einheit zu Ende. Er schrieb am 4. Juni 1943 in einem Brief an Regine, dass er "nach einer schönen Bahnfahrt" nach Orel "verfrachtet worden ist".
Er bezog eine "wanzenfreie Wohnlaube, vor der Tisch und Bänke stehen. Ein schöner Blick ins Tal und Radiomusik läßt mich schnell die Regentage bei den
Partisanen vergessen. Die Bevölkerung ist hier sehr sauber angezogen. Wanzen gibt es in den Häusern trotzdem... Die Bevölkerung, vor allem die Mädchen, haben deshalb so erstaunlich ordentliche u. komfortable Kleider, weil die Dorfbevölkerung für Lebensmittel in Orel alles bekommt.
Nachts hatten wir gleich Fliegerbesuch der Russen... Meine steifen Hannoveraner haben im Partisanenkrieg ihre Feuertaufe erhalten. Sie haben sich sehr gut gemacht. Einer ist dabei gefallen.
Wir haben strahlendes Sommerwetter. Alles läuft mit nacktem Oberkörper und Badehose herum. Eine herrliche Erholung vor sicher bald kommenden Einsatz." Der Briefbericht schloss wie so oft mit seinen Sehnsüchten. "Erbärmlich ist es mir jetzt immer, wenn ich Urlauber nach Hause schicke. Ich würde zu gern mit ihnen tauschen."
Vierzehn Tage später, Regine hatte sich über zu wenig Post beklagt, griff er zur Feder [Füllfederhalter] und begründet sein Schweigen: "Diese 14 Tage Buschkrieg ließen mir wenig Zeit zum Schreiben... Wie Zigeuner haben wir tatsächlich in den Wäldern gelebt." Er erteilt Erziehungsratschläge: "Rainer fehlt sicher mal ein tüchtiger Klaps vom Vater, wenn er alles zum Fenster hinausbefördert. Mich wundert nur, daß er noch kein Bild von Opa zerstört hat, wo die doch immer in allen Ecken herumstehen."
Schließlich bekundete er seine Siegeszuversicht: "Daß wir die Russen besiegen werden, ist uns allen sicher und klar, nur glaube ich nicht, daß es schon dieses Jahr sein wird. Die Maßnahmen zur endgültigen Besiegung... laufen erst langsam an... Ich glaube, einmal werde ich vorm Frieden sicher noch auf Urlaub kommen, wenn es vorher keinen Heimatschuß*18 gibt."
Und schließlich wieder dieses vorandrängende Heldentum: "Wenn man sich so wochenlang hinter der Front rumtreibt, hat man richtige Sehnsucht nach der Stellung."
Gerhard hatte für kurze Zeit einen "vornehmen... Reaktionär" als Regimentskommandeur, mit dem er bald in Zwistigkeiten über an der Front wohl belanglose Dinge wie Kleidung (z.B. Handschuhe im Sommer), Haarpflege u.ä. gerät. "Ich glaube, am meisten stört diesen Menschen [Fleischhauer, der Regimentskommandeur], daß wir, die älteren Chefs u. Batl. Kdr., 1üüx mehr Erfahrung haben als er... Du siehst, man hat hier manchmal seltsame Sorgen, wenn es nicht schießt... Ich habe jetzt einen neuen Betreuer. Ein ordentlicher Rheinländer, der mitten im bombenbedrohten Gebiet wohnt... Er hat Großangriffe mitgemacht und weiß, was die Heimat auszuhalten hat. Er ist wirklich über jedes Lob erhaben, was der Westen stumm u. tapfer erduldet. Nur schamrot könnte man werden, wenn man dann an die meckrigen Sachsen denkt. Mein größter Wunsch ist bei solchen Berichten vom Westen jedesmal... gegen die Engländer mal dabei sein zu können." Er grüßt ganz herzlich in diesem Brief vom 26. Juni 1943 Frau und Kinder und gibt noch Ratschläge für Sohn Rainer: "Daß Du mit Rainer oft Sprecherziehung treibst, ist sehr gut. Ich würde mich sehr ärgern, wenn er beim nächsten Urlaub sächselt."

26.) Schlieben, Karl-Wilhelm von (1894-1964), ab 1.4.43 Kommandeur der 18. Panzerdivision

Wird sind dabei u. es geht wieder vorwärts

Am 29.6.1943 kündigte Gerhard wieder an, dass er längere Zeit nicht schreiben kann. Er verweist auf den Wehrmachtsbericht.
Wehrmachtssoldaten vieler Waffengattungen sollten in einer Umklammerungsschlacht die sowjetischen Armeen, die über 1,3 Millionen Soldaten verfügen, zurückdrängen. Die Wehrmacht muss auf Befehl Hitlers nach dem Debakel von Stalingrad wieder eine vorwärtsdrängende Initiative entfalten und verlorengegangenes Territorium zurückerobern. Eine weitere Großschlacht des 2. Weltkrieges kündigt sich an. Die Militärhistoriker gaben ihr den Namen Schlacht am Kursker Bogen, die wohl größte Panzerschlacht des II. Weltkrieges.
Gerhard, der mit seinen Soldaten in die Vorbereitungen zu diesem gigantischen Unternehmen stark eingebunden war, kann die Dimensionen dieses militärischen Gewaltaktes nur ahnen. Er berichtete über schönes Sommerwetter und dass die Saaten prächtig stehen. Sein Ärger mit dem neuen vornehmen Kommandeur "hat sich etwas gelegt".
Mit dem Urlauber Kaminsky schickte er u.a. einen Fallschirm in die Heimat. Die Gebrauchsanweisung lautet: "Der kleine Fallschirm ist von einer aus einer Leuchtpistole verschossenen Leuchtkugel, die unten dran brennt und durch den Fallschirm sehr lange in der Luft hängt. Wenn Rainer größer ist, kann er ein Stück Holz daran hängen und das ganze vom Flurfenster der 4. Etage herunterwerfen. Das habe ich als Kind oft getan."
Am 2.7.1943 teilte Gerhard in einer kurzen Mitteilung mit, dass er "wieder mal in Tuchfühlung mit dem Iwan*17" war. Den auf den 5. Juli 1943 festgelegten An griffstermin kannte er nicht. Aber er sieht "aufregende... aber interessante Tage" auf sich zukommen, "in denen ich wenig schreiben werde."
In einem eilig hingeworfenen Schreiben teilte er am 4.7.1943 seiner Frau mit, dass dieser Tag ein denkwürdiger sei. Und das wird Regine schon bald erfahren, wenn sie die Wehrmachtsberichte aufmerksam ver
folgt. Seine Zuversicht, der Glaube an den Endsieg, ist ungebrochen. "Was wir hier an herrlichen Waffen haben, ist wirklich erstaunlich. Die Heimat hat herrlich gearbeitet... Der Russe scheint von der ganzen Geschichte nichts zu merken."
Im letzten ausführlicheren Brief, den Gerhard am 8.7.1943 mit reichlicher Euphorie schrieb, teilt er mit, dass sein geckenhafter Kommandeur Fleischhauer das Regiment wahrscheinlich wegen Unfähigkeit verlassen muss.
Er freute sich über zwei Briefe von Regine. Sein neuer aus Köln stammender Betreuer serviert ihm Kuchen und: "Ein paar Russenbomber legten zu aller Freude noch einige Bomben in die Nähe."
Über den Einsatz schrieb er begeistert. "Wir haben nur einen Tag schwere Kämpfe gehabt und sind schon wieder Reserve. Was wir hier an eigenem Artilleriefeuer erlebt haben, dürfte noch nie dagewesen sein in seiner Massierung. Durch die russ. Front sind wir durch. Es macht wirklich Laune, dem Iwan so zuzusetzen und dies wird sicherlich den Krieg verkürzen." Er schloss diesen Brief mit einer Erklärung zum ,historischen' 4.7. "... vor 7 Jahren war es der Anfang unserer Gemeinschaft... Froh denke ich in Rußland an diese Zeit: Um so schöner wird es einst mit unseren Malinki (wie die Russen hier ihre Kinder nennen) im Frieden zu Hause [sein]... Der Fliegerbetrieb ist zu toll; ich will schleunigst schließen. Ruhe hat man hier keine. Aller 5 Min. Flieger aller Sorten."
Es kamen Tage der Ruhe, wo "das Frontgebrüll immer mehr in der Ferne" verschwindet Br.v.9.7.43 und wenig später das: "Wir hatten inzwischen einen harten Tag im russ. Arifeuer auszuhalten. Ich wundere mich immer, wie wenig im schlimmsten Trommelfeuer verwundet werden, wenn alle eingegraben sind. Wenn es einem besonders schlimm ergeht, dann ist die Sehnsucht nach Weib u. Kind am größten. Ich habe trotz allem fast keine Ausfälle in der Kompanie. Einen amerikan. Bomber hat meine Fla*16 abgeschossen." Br.v.11.7.1943
Die Unerbittlichkeit mit denen die Kämpfe geführt wurden, verdeutlicht die kurze Schilderung des nunmehrigen Bataillonsadjudanten Gerhard G. vom 20. Juli 1943. "Ich schreibe hier in einem Deckungsloch (zugleich mein warmes Bett) einen... Gruß an Dich, den morgen ein Urlauber... mitnehmen wird. Wir sind nach den Kämpfen südl. der Stadt nach den Norden geworfen worden u. hatten schwere Kämpfe zu bestehen. Heger ist gefallen [ein befreundeter Obltn.]. Aber auch der Iwan hat hohe Verluste. Es ist ein hartes Ringen. Wir haben ihm viele Panzer abgeschossen."
Im Bataillonsgefechtsstand in der Nähe von Bolschovo las er einen "grünen Brief" von Regine, der für ihn an diesem Sonntag [25.7.1943] "der einzige Lichtblick in den schweren Kämpfen" ist. Er erfuhr, dass seine Frau in Zabeltitz zu Besuch war, und er ermutigte sie durch vielleicht längere Besuche den Kontakt mit Land und Leuten fernerhin zu pflegen.
Die hohen Verluste an Mannschaften und an Offizieren führte zu seiner Kommandierung als Bataillonsadjudant. Er sah natürlich auch die Vorteile einer solchen Dienststellung. Wenn ruhigere Tage kommen sollten, so sinniert er, käme er sogar auf einen Lehrgang nach Deutschland, denn mit Urlaub kann er nicht vor dem Winter rechnen.
Seine Gedanken weilten auch bei seinen Kindern.
"Über Rainers Taten muß ich immer sehr lachen. Hoffentlich bekommt er ab u. zu mal einen Klaps. Jede Dummheit darf man ihn nicht durchgehen lassen, auch wenn man fast laut lachen möchte."
"Ich bin wohlauf und voller Zuversicht auf den Endsieg. Daß dazu eine gehörige Portion Sehnsucht nach dem geliebten Zuhause kommt, und daß ich mich jetzt auf Dich u. die Kinder freue, kannst Du Dir denken." Mit diesen ambivalenten Gedanken schloss Gerhard G. seinen vorletzten Brief in die Heimat.

Letzte Aufnahme von Gerhard Grießbach, 25.7.1943

Die letzte Nachricht

Nach dem 18. August 1943 erhielt Regine die eilig auf eine Postkarte geschriebene letzte Nachricht ihres Ehemanns:
"Nach schweren Kampftagen Dir, geliebtes Frauchen, einen kurzen Gruß. Unsere Hoffnung ist, daß die Ruhe einige Tage dauern möge. Ich habe inzwischen den 3. Batl. Kdr. und führte zwischendurch in schweren Gefechten das Btl. ...Glück habe ich großes gehabt. Einen Durchschuß durch die Rocktasche sind dabei die geringsten Zeichen. An meiner Schrift wirst Du merken, was mir fehlt, Ruhe u. Schlaf. Aber so geht es uns allen. Mir geht es sonst gut. Eben kocht Dein neuer Kocher Pudding für mich. Zu essen haben wir mehr als genug. Sogar einige Verpflegungslager haben wir mit räumen helfen.
Allen Lieben einen herzlichen Gruß. Dein Gerhard"
Diese Nachricht wurde am 4. August 1943 geschrieben.

Regines Brief vom 18.8.1943 kam zurück mit dem postalischen Vermerk: "Zurück! Gefallen für Großdeutschland."
Sie schrieb darin voller Begeisterung von einem herrlichen Sommertag, an dem sie einige Stunden mit Rainer und ihrer Schwägerin Hilde im Bühlauer Frei
bad war. "Das Baden war herrlich... Wir beide müssen auch mal dorthin gehen, es würde Dir sehr gefallen. Aber das sind sicher nur schöne Träume... Heute Nacht hatten wir Alarm, 1 Std... Ich blieb im Bett, es hat nicht geschossen. In Süddeutschland sind die Angriffe gewesen. Es war eine große Aufregung in unserem Haus."
Gerhard Grießbach war aber schon am 7. August 1943 gefallen. Der Stabsarzt Ziesmer, Feldpostnummer 31134, teilt der Witwe am 17. August 1943 die näheren Umstände von Gerhards Tod mit.
"Ihr Mann wurde am 7.8.43 mit einem Bauchschuß sowie mit Granatsplitterverletzungen am ganzen Körper in nicht mehr ansprechbaren Zustand, sterbend hier eingeliefert. Bei der sofort durchgeführten Operation und anschließenden Übertragung von Blutflüssigkeit ist es uns, infolge des starken Blutverlust und der inneren Verletzungen leider nicht gelungen, Ihren Mann am Leben zu erhalten... ist Ihr Mann... um 22.35 Uhr sanft entschlafen... Möge es für Sie... ein Trost sein, dass Ihr Mann für die Größe und die Zukunft Großdeutschlands, als Held gefallen ist..."
Dr. Eckert-Möbius 25.), Stabsarzt und Bataillonsadjudant, schreibt am 31.8.1943 an Regine einen längeren Brief über die letzten Tage und Stunden von Gerhard G.: "Die letzten Tage werde ich nicht vergessen, als ich ihn zusammen mit dem neuen Kommandeur, Major Mattusch, vorn im Kornfeld aufsuchte. Sie lagen... in ihren Deckungslöchern..., um unsern Männern den Rückhalt durch das eigene Beispiel zu geben. Es war ein sehr schwerer Tag, an dem... unser Regimentskommandeur, Major Petersen, gefallen war. Schließlich war der letzte Panzerangriff der Russen unmittelbar vor dem Gef.-Stand abgeschlagen, der letzte Panzer abgeschossen worden. Als sich Ihr Gatte in Freude und
Erleichterung etwas aus seiner Deckung heraushob, bekam er bei schon beginnender Dämmerung einen Schuß in die rechte Seite... Er hatte bei allen Bewegungen Schmerzen, so daß ich ihm eine starke Spritze... gab." Auf einer Zugprotze wurde er schließlich zum Divisionsverbandsplatz gebracht.
Ein Jahr später schickt der inzwischen in die Heimat versetzte Arzt Dr. Eckert-Möbius mit kurzem Gruß die letzten Fotografien von Gerhard G.
Bereits am 22. September 1943 kam vom Schloßplatz 1 in Dresden ein vom Gauleiter Martin Mutschmann 28.) unterschriebenes Schreiben bei Regine an. Die Kondolenz des altgedienten NSDAP Parteifürsten brandmarkt den "Weltfeind Juda", der diesen Krieg dem 1OOOjährigen Reich "aufgezwungen" habe. "Auch Ihr Gatte hat mit seinem Einsatz bis zur Hingabe seines Lebens seinen ganz persönlichen Anteil an dem glückhaften Ausgang dieses gewaltigen Ringens. Sein Name ist mit dieser größten Zeit deutscher Geschichte untrennbar verbunden."
Ich weiß nicht, ob die postume Beförderung zum Hauptmann der Reserve, die Anerkennung des Heldentums durch den Führer und die Würdigung im NS-Blatt Freiheitskampf die Witwe besonders getröstet haben.
"Der Freiheitskampf", die Dresdner NS-Zeitung, berichtet am 15.1.1944 unter der Überschrift Bewährtes Heldentum, dass der Oberleutnant Gerhard Grießbach in das Ehrenblatt des deutschen Heeres aufgenommen wurde; bevor er den "Heldentod" starb, habe er als Bataillonsführer im "schwungvollen Gegenangriff" einen "neuen Einbruch der Sowjets" abgewehrt, 18 Panzer wurden dabei abgeschossen.
Das ewige Warten auf die Post, die quälende Ungewissheit, die Sehnsucht nach dem Ehemann, mit dem sie in den sieben Jahren ihrer Bekanntschaft, Freundschaft und Liebe nur eine von Pflichten und Zwängen bestimmte Ehe geführt hat, war nun zu Ende.

25.) Dr. Möbius, Jörg Eckert, deutscher Offizier und Arzt aus Halle, Adoptivsohn von Adolf Eckert (1889-1976)
28.) Mutschmann, Martin (1879-1947/50), Textilfabrikant, NSDAPAktivist, ab 1933 Reichsstatthalter in Sachsen

Soldatenfriedhof in Shisdra (Aufnahme vom Herbst 1942)

Epilog

Die Mutter Regine lebte im noch unzerstörten Dresden, hatte zwei kleine Kinder und ihren Vater zu versorgen. Mit 27 Jahren war sie Witwe. Finanziell hatte sie keine Sorgen, gewährte doch der NSStaat den Hinterbliebenen relativ großzügige Bezüge. Aber, alle Lebensgüter waren schon lange rationiert und es machte sich eine sich ständig verstärkende Knappheit bemerkbar, so dass sich der Konsum auf ein sehr bescheidenes Maß beschränken musste.
Vater Gerhard wurde postum vom NS Staat zum Helden erklärt, der für den "Schicksalskampf des Großdeutschen Reiches" sein Leben hingegeben hatte, aber das waren doch fast alle, die in diesem irrsinnigen Krieg ums Leben gekommen waren.
Eine Dresdner NS Zeitung berichtete von den "Helden" des Schicksalskampfes gegen die sowjetisch-bolschewistischen Barbaren" so auch vom Oberleutnant Gerhard Grießbach, der bei einer schweren "Abwehrschlacht" im Mittelabschnitt der Ostfront den "Heldentod" gestorben ist.
Wir Söhne waren zu klein und wohl auch zu unbekümmert, um dieses tragische Geschehen begreifen zu können.
Im Haus Sickingenstraße Nr. 5 gab es eigentlich verhältnismäßig wenig Opfer dieses Weltenbrandes. Die Familie Heßberg hatte einen Sohn in den ersten Kriegswochen des Überfalls auf die Sowjetunion verloren und der Schwiegersohn der "Pfarrern" Fischer ist am Kriegsende bei der Flucht aus dem Sudetenland umgekommen. Die anderen männlichen Einwohner waren entweder zu alt oder unabkömmlich wie der Bauingennieur Horst Kraus aus der 2. Etage.
Die furchtbaren Bombardements auf Dresden im Februar und März 1945 verschonten die Sickingenstraße. Das Haus war zwar von den Luftschlägen gezeichnet, aber bewohnbar.
Das NS-Reich war bald am Ende, Adolf Hitler, der Führer, einst das Idol der meisten Deutschen, hatte sich der Verantwortung entzogen.
Nach dem 8. Mai 1945 begannen für Mutter Regine und uns Kinder vorerst schwierige Jahre. Mit dem militärischen und damit auch politischen Zusammenbruch des von Adolf Hitler und seiner Nazipartei (und ihren vielen Helfern und Erfüllungsgehilfen) 12 Jahre autoritär beherrschten Volkes musste sich die Bevölkerung den neuen Bedingungen in einem besiegten, zerstörten, ausgebluteten und zudem besetzten Land anpassen.
Die braune Diktatur, in der die Mutter, wie Millionen anderer deutschen Frauen und Männer, gläubig-zufrieden gelebt hatte, ohne die menschenverachtende chauvinistisch-antisemitische Propaganda mit ihren furchtbaren Folgerungen zu hinterfragen, wurde bald von einer kommunistischen Einheits-Partei-Diktatur nach stalinistischem Muster abgelöst.

Dresden im Juli 2011

Regine G. und ihre Kinder, 1946

Sachregister

*1 Schlamassel = jidd., Durcheinander; im Militärjargon, so viel wie im Kampf, am Feind sein
*2 Rata = sowjetisches Jagdflugzeug
*3 Judenstern = am 1.9.1941 in Deutschland eingeführte Zwangskennzeichnung der Juden
*4 Latrine = Militärjargon, soviel wie Gerücht
5 WHW = Abk. für Winterhilfswerk des NS-Regimes, Sammelaktion
für die Wehrmacht
*6 Arifeuer = Artilleriefeuer
*7 Btl. = Bataillon
*8 Frühgottesdienst = militärische Aktion in Kompaniestärke gegen Partisanen
*9 abgeschmiert, abschmieren = Militärjargon/Fliegersprache: absacken, abstürzen
*10 Ratschbumm(feuer) = Slang-Ausdruck für die sowjetische SiS-3-Feldkanone
*11 Nachschublümmel = im Militärjargon Soldat der Rückwärtigen Dienste (hinter der Front)
*12 Führerpaket = Geschenkpaket als Dank für den Kriegseinsatz
*13 Uffz. = Unteroffizier
*14 Pz.-Gren. = Panzergrenadier
*16 Fla = Fliegerabwehrgeschütze und Maschinengewehre
*17 Iwan = sowjetischer (russischer) Soldat
*18 Heimatschuß = im Soldatenjargon schwerwiegende Verletzung, die nur in der Heimat behandelt werden kann
*19 Kommissarbefehl = Befehl vom 6.6.1941, nach dem sowjetische Politkommissare zu erschießen sind
*20 Pflichtjahrmädchen = von den NS-Behörden 1938 eingeführtes Arbeitsjahr in der Landoder Hauswirtschaft für alle unverheirateten Frauen unter 25 Jahren
*21 V. Lager = Versorgungslager der Wehrmacht
*22 Maginotlinie = französische Grenzbefestigungen an der deutschen Grenze
*23 arische Vorfahren = Ariernachweis, ein von Staatsund Regierungsbehörden geforderter Nachweis (beglaubigte Ahnentafel) einer rein arischen Abstammung
*24 Schicksalskampf = lt. NS-Propaganda, die Unabwendbarkeit des "Kampfes gegen einen jüdisch-bolschewistischen Weltfeind"
*25 Westwallarbeiter = Arbeitskräfte für die Errichtung von Grenzbefestigungen an der franz.-deutschen Grenze
*26 Volkswagen = 1938 von F. Porsche entwickeltes Billigauto, von NSPropaganda als KdF-Auto tituliert; ab 1939 nur noch Kriegsproduktion (VW Kübelwagen)
*27 Pimpfgeneral = umgangssprachlicher Ausdruck der Nazizeit: Führer bei der Hitlerjugend
*28 Sudetengebiet = bis 1945 Siedlungsgebiet von Deutschen in der Tschechoslowakei
*29 NSDAP = Einheitspartei in Deutschland von 1933 bis 1945; chauvinistisch, nationalistisch und antisemitisch geprägt
*30 Reichsdeutsche = umgangssprachliche Bezeichnung der deutschen Bewohner des Deutschen Reiches von 1871-1945; in der NS Zeit Propagandabegriff
*31 Drewag = Stadtwerke Dresden, 1930 gegründet
*32 EK I = Eisernes Kreuz 1.Klasse, militärische Auszeichnung in beiden Weltkriegen

Abkürzungen:

Mgs — Maschinengewehre
Eks — Eiserne Kreuze

Literatur:

Lt. Kreuter Georg (siehe 44.) Paul Carell beschreibt in seinem problematischen Buch "Unternehmen Barbarossa" die tollkühne Aktion dieses Offiziers (s.70 ff.)
Oberst Jolasses, 18.) Verdienste beim Vormarsch 1941 finden bei Carell, s.o., ebenfalls eine entsprechende Würdigung
Pepper, Hauptmann, Bataillonskommandeur im Schützenregiment 101, kommt am 7.7.1941 bei einem Gegenangriff der Roten Armee ums Leben
(siehe Paul Carell, Unternehmen Barbarossa, Ullstein 1963, S. 70ff.)

Anhang

Russland, 31.8.43
Hochverehrte gnädige Frau!

Mit tiefer Trauer bekamen wir, mein Kommandeur Major Mattusch und ich, die Benachrichtigung des Hauptverbandplatzes einer nicht zu uns gehörigen Division, die mitteilte, dass Ihr Herr Gemahl am selben Tage noch, an dem er verwundet worden war, gestorben ist. Seine Verwundung war für mich ganz besonders schmerzlich, war er doch der letzte Offizier, der im Stab zusammen mit mir die lange Dauer der Kämpfe um Orel mitgemacht und durchgestanden hatte. Die letzten Tage hatte ich zusammen mit ihm als sein Adjudant im Bunker miterlebt, seine famose Art bewundert, mit der er in kritischen Situationen die Lage meisterte und trotz seiner liebenswürdigen Art solche Energie und Härte entwickeln konnte, so dass das Batl. schließlich überall seine Stellung hielt.
Die letzten Tage werde ich nicht vergessen, als ich ihn zusammen mit dem neuen Kommandeur Major Mattusch vorne im Kornfeld aufsuchte. Sie lagen beide in ihren Deckungslöchern mit dem Bataillonsgefechtsstand in Höhe der Kompanien, um unseren Männern den Rückhalt durch das eigene Beispiel zu geben. Es war ein sehr schwerer Tag, an dem gegen Mittag unser Regimentskommandeur, Major Petersen, gefallen war. Schließlich war der letzte Panzerangriff der Russen unmittelbar vor dem Gef.-Stand abgeschlagen, der letzte Panzer abgeschossen worden. Als sich Ihr Gatte in Freude und Erleichterung etwas aus seiner Deckung heraushob bekam er bei schon beginnender Dämmerung einen Schuss in die rechte Seite. Er wurde sofort zu mit hingebracht.
Als ich ihn wenige Minuten nach der Verwundung untersuchte, fand ich ihn ziemlich bleich aussehend. Die Wunde hatte die Leber verletzt; auf seine Frage, wie es mit ihm stehe, antwortete ich ihm, der stets ernst und tapfer sein Leben geführt hatte, die volle Wahrheit: Es bestehe Lebensgefahr, doch da die Leber verletzt sei, bestände mehr Hoffnung, als wenn der Darm zerrissen wäre.
Die Hauptgefahr bestand in der Blutung! Er hatte bei allen Bewegungen Schmerzen, so dass ich ihm eine starke Spritze gegen die Schmerzen gab. Tapfer ließ er sich in die Zugprotze legen, gepolstert auf Decken. Er selbst war doch voller Trost, hoffte, da er sich relativ kräftig noch fühlte, dass er weiterleben würde; und so sahen wir 3 Offiziere, Major Mattusch, Oblt. Reiprich und ich, und dann noch etliche seiner Männer, die ihm so lange und gern unterstanden hatten, ihm nach und wussten nicht, ob wir ihn wiedersehen würden.
Wenn ich Ihnen in Ihrem Schmerz auch keinen Trost sagen kann, so möchte ich doch berichten, wie hoch Ihr Herr Gemahl von seinen Vorgesetzten eingeschätzt worden ist, denn es waren Bemühungen im Gange, ihn im Ehrenblatt des Heeres zur Nennung zu bringen und nur an der Tatsache das es viele Einzeltaten, keine große Einzeltat war, scheiterten diese Versuche, sein Leben und Wirken noch nachträglich hervorragend zu ehren.
Kann dieses Bewusstsein, Sie hochverehrte gnädige Frau, auch nicht trösten, so mag dieses Wissen Ihren beiden Kindern doch einen großen Stolz vermachen, dass sie einen solchen Vater gehabt haben!

In tiefster Hochachtung
Ihr sehr ergebener Dr. Jörg Eckert-Möbius

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