Friedelschule

Die höhere Töchterschule der Helene Antonie Friedel in Blasewitz

Vorbemerkung

Meine Mutter, Regine Grießbach, geborene Schirmer, besuchte ab 1922 die Friedelschule in Dresden-Blasewitz. Mit der Abschlussnote II b erhielt sie Ostern 1932 die Mittlere Reife. Die Erinnerungen an ihre Schuljahre waren von einer gewissen Ambivalenz geprägt. Einerseits war sie sich wohl bewusst, eine besondere Schule zu besuchen, andererseits empfand sie eine deutliche soziale Abgrenzung von den Mädchen und Jungen ihrer Nachbarschaft. Die Blasewitzer Volksschule war ja gleich um die Ecke, so dass sich verschiedentlich Schulweggefährtinnen zusammen fanden. Es kam zu abwägenden Erfahrungsaustauschen, wer wohl die bessere Schule besuche. Das gediegene Wissen ermöglichte es ihr schließlich, eine Ausbildung als Berufsschullehrerin für Hauswirtschaft erfolgreich abzuschließen.

Mit dem folgenden Text will ich dieser bedeutenden Blasewitzer Privatschule und ihrer charismatischen Schulvorsteherin Helene Antonie Friedel ein würdiges Denkmal setzen.

Die Friedelschule

Das einstige bescheidene Fischerdorf Blasewitz hatte sich nach 1871 zu einem bedeutenden Villenvorort von Dresden entwickelt und war bald eine der Gemeinden Sachsens mit dem höchsten Steueraufkommen. Die Töchter und Söhne der betuchten Villenbewohner sollten nach dem Willen ihrer Eltern nicht die Bänke der Blasewitzer Volksschule drücken, sondern in einem besonderen Ambiente in kleinen Klassen unterrichtet werden. 1870 erfolgte auf Anregung des Geheimen Regierungsrates Arthur Willibald Königsheim die Gründung einer Privatschule für Mädchen. Die damals erst 19jährige! Selma Leiter wurde Schulvorsteherin. Daneben gab es noch die Löbellsche Schule, 1876 von Fräulein M. Kuntze gegründet und die Höhere Mädchenschule von Fräulein E. Degner. Bereits 1863 hatte Dr. phil. Pietzsch ein Knaben-Lehr- und Erziehungsinstitut gegründet. Es bestand also eine sehr vielfältige Schullandschaft für die Kinder vermögender Eltern in Blasewitz. Zunächst war die Leitersche Höhere Töchterschule eine bescheidene Zwergschule, deren Unterricht in einem angemieteten Haus in der Residenz-/Ecke Hainstraße stattfand. Nur 14 Mädchen besuchten zunächst den Unterricht; jedoch von April bis September erhöhte sich die Schülerzahl, da einige Familien nur in diesen Monaten in Dresden weilten. Ab 1893 wurden die Mädchen in dem vom Architekten Karl Emil Scherz errichteten Gebäude auf der Prohliser Straße 13 (heute Kretschmerstraße) unterrichtet. Es waren nunmehr 54 Mädchen, die von drei Lehrern und sieben Lehrerinnen, natürlich Fräuleins, unterrichtet wurden. Die Lehrerinnen unterlagen bis 1919 dem sogenannten Lehrerinnenzölibat, d.h. es bestand die Unvereinbarkeit von Ehe und Beruf; dieses reaktionäre Gesetz wurde 1881 eingeführt. Lediglich verwitwte Lehrerinnen durften u.U. den Lehrerberuf ausüben.

Turnhalle um 1910

Am 8.5.1901 macht der zuständige königlich-sächsische Bezirksschulinspektor Dr. Lange folgende Aktennotiz:

Am 28. April d.J. hat die Vorsteherin der ältesten höheren Töchterschule, Fräulein Selma Leiter, nach dem ihr zur Herstellung ihrer sehr angegriffenen Gesundheit bereits ein längerer Urlaub bewilligt worden war, zweifellos in einem Augenblicke geistiger Umnachtung sich das Leben genommen. Es waren wohl nicht nur seelische Depressionen die ihr zusetzten, sondern vor allem pekuniäre Probleme. Nach einem Interim mit dem Diakon Leuschner aus Blasewitz bewirbt sich die unverheiratete 40jährige Lehrerin und Pensionsvorsteherin Helene Antonie Friedel mit Erfolg als Schulvorsteherin. Fräulein Friedel war eine in Dresden beheimatete Lehrerin, verwandt mit Robert Schumann, die in deutschen Landen, der Schweiz, Frankreich und England als Erzieherin, Betreuerin und kurze Zeit auch als Volksschullehrerin tätig war. Der Versuch, in Honnef eine Schule zu übernehmen scheiterte am Veto der katholischen Elternschaft. Kurze Zeit stand sie dann einer Fortbildungsschule mit Töchterpensionat in Dresden vor. Der Blasewitzer Gemeindevorstand prüfte den Antrag und kam zu einem wohlwollenden Urteil: Das ist die richtige Frau für die Höhere Töchterschule Blasewitz. Nachdem die Genehmigung der Schulbehörde eingetroffen war, wurde Fräulein Friedel durch Herrn Pfarrer Leuschner in ihr Amt eingewiesen. (K.E.Scherz) Seit 1902 hieß diese renommierte Lehranstalt nun Friedelschule. Bereits 1908 konnte Fräulein Friedel die Mittel aufbringen, es waren immerhin 65.000 RM, um das Grundstück mit dem Gebäude zu kaufen. 1912 erfolgte noch ein Anbau um alle 10 Klassen problemlos unterrichten zu können. Der Baurat Karl Emil Scherz1 warb als aktives und einflussreiches Mitglied des Blasewitzer Gemeinderats jahrelang für die finanzielle Unterstützung der Friedelschule. Zunächst erhielt die Schulvorsteherin auf ihr wiederholtes Gesuch von der Gemeinde lediglich 2.000,– RM als Beihilfe, und das bei einer so steuerkräftigen Gemeinde wie Blasewitz! In einer Eingabe vom 30.6.1912 nannte der Baurat die Summe von 5.000,– RM als eine notwendige jährliche Subvention für den Erhalt der Schule. Der Baurat befürchtete eine Abwanderung der Töchter begüterter Eltern, falls das Niveau der Lehranstalt auf Grund fehlender Mittel beeinträchtigt würde. In einem Protokoll hielt er fest: Blasewitz ist der Wohnort vieler reicher Rentiers.

Für die Wahl des Wohnsitzes dieser Personen ist von wesentlicher Bedeutung die Schulfrage; ob sie ihre Kinder in eine Schule schicken können, die sie für geeignet halten... Reiche Rentiers wollen nicht, daß ihre Töchterchen einen Weg von einer halben Stunde und mehr in die Schule haben, sie wollen die Schule am Orte.

Was war das nun für eine Schule in unmittelbarer Nachbarschaft zur Blasewitzer Volksschule auf der Wägnerstraße? Der Unterricht begann um 8 Uhr und war spätestens 13 Uhr beendet. Mit dem Zeugnis der Mittleren Reife konnte der Schulbesuch abgeschlossen werden. In der Regel besuchten 10 bis 16 Mädchen eine Klasse. Der Lehrplan und der Unterrichtsstoff entsprachen inhaltlich der damaligen Wissensvermittlung und damit den Vorgaben der Schulbehörde. Die Mädchen wurden in den Fächern Deutsch, Französisch, Englisch, Rechnen, Biologie, Erdkunde, Zoologie, Religion, Gesang, Turnen und Nadelarbeit unterrichtet. Die Naturwissenschaften spielten anfangs eine geringere Rolle, später wurden von „Gastlehrern“ notwendig erachtete wissenschaftliche Kenntnisse vermittelt. Biblische Geschichte resp. Religion wurden in allen Klassen von Blasewitzer Pastoren erteilt; sie gaben der Schule ihr eigenes Gepräge unter dem Schulspruch „Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.“

Der Schule haftete ein durchaus elitärer Charakter an. Vermögende Eltern, erfolgreiche Fabrikanten und Kaufleute, höhere Militärs, Beamte aus dem höheren Dienst, Pensionäre, aber auch vermögende Künstler (Maler und Musiker) ließen ihre Töchter unter der Obhut von Fräulein Friedel und ihrer Lehrerschaft bilden und erziehen.2

Natürlich wurde Schulgeld für den Besuch der Friedelschule verlangt: Zunächst war ein Eintrittsgeld von 6 Mark fällig, hinzu kam das Heizgeld von insgesamt 7 Mark und dann das eigentliche Schulgeld, das vierteljährlich im voraus zu bezahlen war für Klasse X (das war die 1. Klasse), 27 Mark bis hin zur Klasse I (10. Klasse), wo 54 Mark zu entrichten waren. Von eingehenden Spenden, die die Eltern zum Schulabschluss ihrer Töchter der Schulvorsteherin übergaben, wurden notwendige Lehrmittel angeschafft, so dass bald ein ansehnlicher Fundus zur Verfügung stand. So hat z.B. der in Blasewitz ansässige Verleger/Herausgeber Ferdinand Avenarius der Friedelschule wertvolle Materialien gespendet. Im Schulareal befanden sich zudem noch eine Milchküche, wohl eine Art Imbissversorgung, und der praktisch gestaltete Hof mit seinen Bänken zur Nutzung in den Pausen. Um 1910 hatte die Schule bereits über 100 Schülerinnen, auch bedingt durch die Auflösung der Degnerschen Höheren Mädchenschule. Und die Schülerzahl sollte nach dem

1. Weltkrieg auf über 300 steigen, deshalb musste das Schulgebäude weiter ausgebaut werden. Als Erweiterungsbau entstand bereits 1912 der Turnhallenbau, wo natürlich von einem Fräulein Lehrer Körperertüchtigung gelehrt wurde.

In einem Protokol wurde das Innenleben der Friedelschule folgendermaßen dargestellt: Erdgeschoss: 4 Lehrzimmer (je 25 — 30 qm), 1 Turnhalle (70 qm), 1 Sprechzimmer (o.A.); 1. Obergeschoss: 6 Lehrzimmer (25 — 35 qm), 1 Lehrerzimmer (o.A.); 2. Obergeschoss: 1 Zeichensaal (70 qm) und die Wohnung der Schulvorsteherin.

Klassenfoto um 1927

Die Schulräume wurden durch eine Warmwasserheizungsanlage erwärmt. Alle Schulräume hatten eine elektrische Beleuchtung. Eine Wasserklosettanlage mit 7 Sitzen entsprach den Hygienevorschriften.

Fräulein Antonie Helene Friedel stand für ein moralisch-pädagogisches Prinzip, in dem sie u.a. forderte: Ferner ist es von der Schule erwünscht, wenn die Schülerinnen von allen auffallenden und die Gesundheit gefährdenden Modetorheiten ferngehalten werden. Und dann noch: Für Schülerinnen, die es dauernd an Fleiß, Aufmerksamkeit und am richtigen, angemessenen Verhalten fehlen lassen, ist eine Arbeitsstunde eingerichtet. Die Schulvorsteherin verstand ihre Privatschule als einen Ort der Erziehung zur tüchtigen Charakterbildung. Ein Aufgabenbuch wurde geführt, in dem die Eltern täglich in den Lernprozess ihrer Töchter Einsicht nehmen konnten.

Der Weltkrieg [1914 — 1918] brachte auch der Friedelschule viele Sorgen. Sie hat durch Sammlungen von Geld, vielen Liebesgaben aller Art und Zeichnung von Kriegsanleihen zur Linderung der allgemeinen Not reichlich beigetragen, so charakterisierte K.E.Scherz die Zeitverhältnisse. Die patriotisch erzogenen Mädchen traten auch als Werber für die Zeichnung von Kriegsanleihen3 auf.

Nach dem großen Völkerbrand und dem politischen und wirtschaftlichen Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs war es mit der „guten alten Zeit“ vorbei. Der gewährte Zuschuss von jährlich 3.000,– RM wurde durch die Inflation völlig wertlos. Auch durch die Eingemeindung nach Dresden, 1921, konnte die finanzielle Misere nicht überwunden werden. Die Bevölkerung verarmte zusehends, manche Elternhäuser konnten das Schulgeld kaum noch bezahlen. Am 17. April 1920 wurde das 50jährige Bestehen der Blasewitzer Privattöchterschule in verhaltener Form begangen. 319 Schülerinnen besuchten nun die Schule. Zeitweise wurden auch Jungen in die Friedelschule aufgenommen, bis das Sächsische Volksbildungsministerium der Vorsteherin diese Veränderung der Schulstruktur zunächst untersagte.

Trotz der unruhigen Zeiten hatte diese Schule immer noch einen guten Ruf, weil die meisten Eltern ihren Kindern eine höhere Bildung, wie sie die Volksschule in ihrem damaligen Zustand nicht bieten konnte, angedeihen lassen wollte. (K.E.Scherz)

Die Schule organisierte in den verschiedenen Jahreszeiten behördlich vorgeschriebene Wanderungen, die den Mädchen Heimatkenntnisse vermitteln sollten und der Gesundheit und der Leistungsfähigkeit zugute kamen. Im Sommer fanden einmal wöchentlich auf den städtischen Spielwiesen gymnastische Übungen und Spiele statt, natürlich beaufsichtigt von den Turnlehrerinnen. Einige Mädchen konnten dann auch an den Reichsjugendwettkämpfen teilnehmen.

Turnriege um 1927

Stammkollegium um 1920

In den zwanziger Jahren wirbt Frl. Friedel für einen Anstands- und Tanzkurs mit englisch-schwedischer Gymnastik. Diese Veranstaltungen fanden natürlich außerhalb des Unterrichts statt und sollten der Förderung der Anmut dienen. Die Friedelschule konnte sich kein eigenes Schullandheim leisten und hatte sich deshalb an den V.D.A.4 angeschlossen, der Besitzer des Margarete-Cronau-Heims in Schellerhau war. Die Schule musste auf freiwillige Spenden zurückgreifen, um allen Schülerinnen den Landheimaufenthalt im Osterzgebirge zu ermöglichen.

Unsere liebe Schule bestand am 17. April 1930 sechzig Jahre. Die Zeiten sind nicht zum Jubelfeste angetan. Mit diesen Worten blickte Helene Antonie Friedel zurück auf die Geschichte ihrer Schule, die sie unermüdlich und pflichtbewusst durch schwierige Zeiten geleitet hatte. Wiederholt mahnte sie die Eltern, das Lesen mit ihren Töchtern zu üben, das Erledigen der Hausaufgaben ständig zu überwachen und den Kontakt mit der Vorsteherin nach Bedarf zu pflegen, zu letzterem bot sie Sprechstunden an.

In den dreißiger Jahren gründete und redigierte die Schulvorsteherin „Die Kette“, ein Mitteilungsblatt für die Vereinigung ehemaliger Friedelschüler und die Schulgemeinde. Man traf sich im Dampfschiffhotel Blasewitz am Elbufer und die Gedanken wandern zurück in die Zeit, da sie die Schulbänke gemeinsam drückten, auch beschmierten und zerkratzten (Die Kette, 1935). Gleichzeitig lässt sie die Ehemaligen wissen, dass sie die Hauptleitung der Schule in die Hände von Frau Reinhäckel gelegt hat. Das Schulische wird jetzt gründlich umgestaltet, und die Privatschulen leiden jetzt besonders unter der geringen Schüler- und Schülerinnenzahl, sowie unter der allgemeinen Geldknappheit. Sie ruft die Ehemaligen auf, unsere liebe Schule, die sich eines guten Rufes erfreut, gern weiter zu empfehlen, so daß wir nicht so sorgenvoll in die Zukunft schauen brauchen.

Lange schon wurde unaufhaltsam die Abwicklung der privaten Schulen von beflissenen Beamten des totalitären Staates ins Auge gefasst. Das Hauptschulungsamt der NSDAP formulierte auf einer Tagung erzieherische Prämissen, die nur von einem neuen Typ des Volkserziehers, einer Persönlichkeit mit Selbstzucht und Selbstbeherrschung — dies sei die Generalvorausssetzung jedes Führertums — geleistet werden könnten. Denn: Der Führer Adolf Hitler sei der größte Volkserzieher unseres Jahrtausends. Das Leitbild der nationalsozialistischen Pädagogik war die totale Erziehung, die die arische Jugend zu rassebewussten Volksgenossen formen und zu überzeugten Nationalsozialisten erziehen sollte. Die christlich, aber auch durch bürgerlich-konservative Grundsätze geprägte Privatschule, konnte sich dem totalen Machtanspruch der tausendjährigen Volksverführer nicht entziehen. Absolventen der Friedelschule wurden vom Mythos brauner Organisationen angezogen; so fanden sich bereits 1933 größere Gruppen von Mädchen beim BDM5 wieder und leisteten in einem von der SA geleiteten Rittergut Hilfsdienste für die Landwirtschaft. Eine „Führerin“ war für eine straffe Organisation und die Vermittlung nationalsozialistischen Gedankenguts stets zur Stelle. Es gab aber keine laut hörbare Kritik an den Eingriffen resp. Zugriffen der nationalsozialistischen Behörden.

Am 4. April 1935 wurde vom Reichsminister Rust durch Erlass angeordnet, daß vom Schuljahr 1936 ab Lernanfänger in privaten Vorschulen und Vorschulklassen nicht mehr aufgenommen werden dürfen. Und weiter heißt es in dem Erlass, daß von jedem im grundschulpflichtigen Alter stehenden gesunden deutschen Kinde der Besuch der öffentlichen Volksschule verlangt werden könne. Das Ende der Friedelschule war nicht mehr aufzuhalten.

Am 25. März 1939 fand eine anrührende Feierstunde zum Schulschluß der Friedelschule im festlich geschmückten Saal des Dampfschiffhotels Blasewitz statt. Der Blasewitzer Pfarrer Michel machte sich zum Sprecher von Blasewitzer Einwohnern und ließ das 37 Jahre währende segensreiche erzieherische Wirken der Friedel noch einmal lebendig werden.

Die stellvertretende Schulleiterin, Johanna Reinhäckel, eine altgediente Lehrkraft, hielt die Abschiedsrede. Es ist ein Text, von Opportunismus durchdrungen. Sie sieht die Zukunft der abgewickelten Schule in einer durch die sogenannte nationalsozialistische Volkswohlfahrt zu eröffnenden Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen sehr positiv. Die Partei (NSDAP) sei der Schule immer mit viel Verständnis entgegen gekommen, aber mit dem befremdlichen Das walte Gott! beschließt sie ihre kurze Ansprache.

Einstige Schülerinnen der Friedelschule schmückten die Stunde durch gehaltvolle Klangdarbietungen aus, so berichtete die Dresdner Zeitung in einem umfangreichen Beitrag. Dora Ronthaler, Susanne Michel und Ina Witting und andere Ehemalige sorgten mit Gesang und Instrumentalmusik für ein festliches Gepräge der Veranstaltung. Mit dem Treue- und Dankesgruß an den Führer endete dieses Begräbnis erster Klasse. Kommentarlos notierte K.E.Scherz: Fräulein Friedel verkaufte 1939 an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt — zur Errichtung eines Kindergärtnerinnen Seminars — das Grundstück mit Inventar für 50.000 Mk. Die gerichtliche Eintragung erfolgte am 1. April 1939.

Mit dem Verkauf ihrer Schule musste sie natürlich auch ihre Wohnung im Schulhaus der NS-Volkswohlfahrt überlassen. Die alte Dame wohnte nun in Dresden-Zschertnitz auf der Paradiesstraße 20. Die Zeit war vorbei, wo vor dem Unterricht christlich-erbauliche Texte vorgetragen und Kirchenlieder angestimmt wurden. Nun war die total vereinnahmende völkische Erziehung auch hier maßgebend.

Händchen halten, immer an den Führer denken.
Köpfchen senken, Er gibt euch euer täglich Brot
und rettet euch aus aller Not.

Ob es im Alltag der Ausbildung immer so zuging, mag vielleicht bezweifelt werden, aber die Mehrheit der Bevölkerung war dem Glauben an die fast mystische Allmacht des Demagogen verfallen und glaubte an dessen Unfehlbarkeit. Fräulein Friedel verschickte bis 1944 regelmäßig ihr Mitteilungsblatt „Die Kette“ (bis zum 12. Jahrgang) an die Ehemaligen. Nun häuften sich in der Rubrik Allgemeine Mitteilungen die Anzeigen von den Kriegstoten, den jungen Ehemännern, den Verlobten u.ä. Sie klagte über den entsetzlichsten aller Kriege, dieses totalen Krieges, findet aber auch Worte des Trostes und der Ermutigung. Diesmal treffen wir uns nicht wie alljährlich im Dampfschiffhotel, da dies jetzt als Lazarett dient, sondern im lieben, alten Blasewitzer Schillergarten... Was wird da alles zur Sprache kommen! Von schwersten Verlusten, tiefster Trauer, von Bombengeschädigten werden wir hören... Aber auch glückliche Frauen und Mütter werden gern aus ihrem Familienkreis erzählen... Leider werde ich auf das Kommen verzichten müssen, da ich nur noch mühsam mit Schmerzen am Stock gehen kann... (Die Kette, 30. Oktober 1943). Die Hausmeistersfrau, Frau Köhler, betreute die immer hinfälliger gewordene alte Dame in diesen Jahren.

Der unermüdliche Chronist von Blasewitz, Karl Emil Scherz, notiert am 25. August, dass die verdienstvolle Lehrerin, Fräulein Helene Antonie Friedel, Vorsteherin der Privattöchterschule in Blasewitz... am 19. August 1944... verstorben ist und ihrem Wunsch gemäß in aller Stille eingeäschert wurde. Der Pfarrer der Lukaskirche, Herr Scheffel, welcher der Heimgegangenen in den letzten Tagen beigestanden hat, vollzog die Bestattung auf dem Johannisfriedhof. Mit dem Spruch Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“ wurde sie eingesegnet.

„Einen Palmenzweig auf das Grab einer treuen Blasewitzerin“ legte Scherz nieder und schrieb eine letzte Würdigung über die Vorsteherin und ihrer lieben Schule. Er ließ noch einmal die 37 Dienstjahre von Helene Antonie Friedel lebendig werden, ihre Sorgen, Kämpfe, Entmutigungen und Erfolge und kommt zu dem kritischen Resümee, dass schließlich die Bewohner von Blasewitz und die Gemeindevertretung gar kein Interesse zur Friedelschule gezeigt hätten:„Undank ist der Welt Lohn“.

1945 schreibt dieser kritische Zeitgeist in seine Kladde:

Jetzt stehen wir im 6. Jahre des zweiten Weltkrieges. Niemand kann wissen, wann der Frieden kommt. Möge der getreue Gott uns einen gnädigen Frieden schenken!

Im Oktober 1945 stirbt Scherz im 85. Lebensjahr, er hat noch die furchtbare Zerstörung Dresdens miterlebt. An einen gnädigen Frieden war nicht zu denken. Blasewitz erlitt aber nur punktuelle und im Vergleich zum Dresdner Stadtgebiet geringe Bombenschäden; die Friedelschule überstand fast unbeschadet das Inferno. Jahre nach dem Untergang des Naziregimes zog die Jugendorganisation der „Einheitspartei“ (SED), die Freie Deutsche Jugend, in das ehemalige Schulhaus und wollte mit doktrinären Klassenkampfparolen die Jugend zu bewussten Staatsbürgern erziehen. Heute stellt sich uns das ehrwürdige Gebäude mit sanierter Fassade, getüncht im Zeitgeschmack, wieder als eine Schule vor. Nun sollen Fahrschüler zu motorisierten Verkehrsteilnehmern erzogen und befähigt werden.

Schulemblem der Friedelschule

Anhang

Lehrkräfte der Friedelschule (Auswahl): Frl. Irene Papesch, Frau Evamaria Königsheim, Frau Antonie Hager, Frl. Hiltrud Mühlriedel, Frl. Gertrud Starke, Frl. Cora Kraft, Frl. Helene Schiller, Frl. Selma Wackernagel, Dr. phil. Förster, Dr.phil. Gündel, Monsier Paul Martin, Frl. Käthe Streubel, Frl. Luise Thiele

1 Karl Emil Scherz (1860 — 1945) Architekt in Dresden-Blasewitz, der eine Vielzahl von im historisiernden Stil erbauten Villen, Kirchen, Schulen u.v.a. errichtete, Ortchronist von Blasewitz

2 Sie besuchten die Schule (Auswahl): Johanna Aster (Ehefrau von J. Hegenbarth); Luise Rossow, Tochter von Otto Rossow, Kunstmaler; Magdalene und Christine Scherz, Töchter von K.E.Scherz; Isolde Kutzschbach, Tochter des königl. Hofkapellmeisters Kutzschbach, Tamara Rothermundt; Maya Unger, Tochter des Malers Hans Unger. Die prominenteste Schülerin war wohl die Sängerin Eva Plasc.

3 Kriegsanleihe: staatliche Anleihe zur Finanzierung des Krieges

4 V.D.A. Verein für das Deutschtum im Ausland, 1881 in Berlin gegründet mit dem Ziel das „Deutschtum“ in der ganzen Welt zu fördern und zu schützen

5 BDM Bund Deutscher Mädchen, Pendant zur Hitlerjugend

Quellen:

Otto Gruner, Blasewitz, 1905 Annette Dubbers, Blasewitz Landesamt für Denkmalschutz (Scherz-Sammlung) Stadtarchiv Dresden, Schulakten 1870 — 1930 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Akten des Ministerium für Volksbildung Faltblatt zum sechzigjährigen Jubiläum der Friedel-Schule, 1930 Karl Emil Scherz, Abschied von der Friedelschule in Dresden-Blasewitz, Dresden 1939 Bernd Beyer, Kataster von Blasewitz Verw. Johannisfriedhof Dresden

Der Autor ist besonders dem Dresdner Stadtarchiv und dem Sächsischen Hauptstaatsarchiv für die Bereitstellung wesentlicher Dokumente zu Dank verpflichtet. Dem Kunsthistoriker Winfried Werner, dem Bewahrer des Scherzschen Nachlasses und Herrn Thomas Kübler, sei besonders gedankt für ihre bereitwillige Hilfe bei den Recherchen in ihren Häusern.

Dresden 2014/2015 Gerd Grießbach